„Mensch hat Vorrang vor Rendite“

Eisenbahnzulieferer Wabtec: Produktionsverlagerung und Arbeitsplatzvernichtung drohen
Wie ein Keulenschlag wirkte die Ankündigung der Wabtec-Geschäftsführung: Bis spätestens Ende 2023 sollen von den derzeit 300 Beschäftigten 200 entlassen werden. Nachdem dem ersten Schock, herrschen sowohl beim Betriebsrat als auch bei den Beschäftigten der US-amerikanischen Wabtec Corporation Wut und Zorn. „Es gab keinerlei Anzeichen für diesen geplanten Kahlschlag“, kommentiert Mathias Hillbrandt die Konzernentscheidung, die „von langer Hand vorbereitet“ in den USA getroffen wurde. „Auch die letzten Umsatzrenditezahlen geben dafür keine Begründung her“, so der 2. Bevollmächtigte der IG Metall Ennepe-Ruhr-Wupper. Hier gehe es mal wieder darum, auf dem Rücken der Beschäftigten die Renditemarge nach oben zu treiben „Die geplante Kahlschlagsanierung können und werden wir deshalb nicht widerstandslos hinnehmen“, sagt die Betriebsratsvorsitzende Tanja zum Dohme.
Im Jahr 2008 ist Faiveley von Remscheid nach Witten gezogen. Seit 2016 gehört der ehemals unabhängige französische Anbieter von Bahnsystemen und Dienstleistungen zum US-Konzern Westinghouse Air Brake Technologies Corporation (Wabtec) in Pennsylvania. Diese hatte Anfang dieses Jahres das Wittener Werk auf das ehemalige Opel-Gelände nach Bochum-Lear verlagert. Das „Wettbewerbsumfeld“ habe sich in den vergangenen 18 Monaten stark verändert, deshalb müsse der Global-Player „sein Standortnetzwerk in Europa optimieren“, so lautet die zentrale Botschaft der Konzernspitze aus Wilmerding in den USA. Die in diesem Zusammenhang angestellten „strategische Überlegungen und Kostenanalysen“ hätten ergeben, dass der Standort in Bochum „dauerhaft am wenigsten wettbewerbsfähig“ sei, heißt es in der Mitteilung des US-Unternehmens.
Der Standort Bochum soll „restrukturiert“ werden. d.h. geplant ist, die Produktion in die Werke in Poli (Italien) und Hosur (Indien) zu verlagern, um „Synergiemöglichkeiten“ auszuschöpfen. Vom Standort Bochum aus soll nur noch das Neubaugeschäft der DACH-Region (Deutschland, Österreich und die Schweiz) betrieben werden. Dies umfasst den Vertrieb, das Projekt-Management und den Engineering-Bereich, d.h. verbleiben sollen nur noch die Ingenieure und Beschäftigte mit Dienstleistungsaufgaben. Das Aftersales Geschäft soll durch das Transit Serviceteam betreut werden.
Nicht mehr wettbewerbsfähig? Beim ersten Spatenstich am 07.02.2020 für die neue Fabrik zur Entwicklung, Herstellung und Wartung von Bremsen und Kupplungen für die Bahntechnik weltweit, die der Eisenbahnzulieferer vom Immobilienentwickler Panattoni gemietet hat, klang das noch ganz anders. „Wir freuen uns, mit dieser neuen Anlage (…) unsere langjährige Erfahrungen in Deutschland zu nutzen, um bahnbrechende Technologien für die von uns belieferten Branchen zu entwickeln“, sagte Dr. Christopher Antes, Präsident des Geschäftsbereichs Transit Brakes & Safety. Mit dieser Fabrik werde eine „zukunftsorientierte Arbeitsumgebung für unsere Mitarbeiter“ geschaffen, um „höchste Produktivitäts- und Qualitätsstandards“ gewährleisten zu können, so die salbungsvollen Ausführungen.
Anfang 2021 hat Wabtec den neuen Standort in Bochum bezogen. Auf dem knapp 34.000 Quadratmeter großen Gelände im Stadtteil Laer ist eine Produktionsfläche von 9200 Quadratmeter entstanden, dazu kommt eine Lagerfläche von 5100 und eine Bürofläche von 5600 Quadratmeter Größe. Doch die „Freude“ hielt nicht lange an. Sieben Jahre nach der Schließung des Opel-Werks Ende 2014, als 3000 Beschäftigte ihren Arbeitsplatz verloren haben, sollen an gleicher Stelle 200 industrielle Arbeitsplätze der „Jagd nach der Rendite“ geopfert werden „Dies könne und wollen der Betriebsrat und die IG Metall nicht so einfach akzeptieren“, betont Mathias Hillbrandt.
Dass die Geschäftsführung mit dem Betriebsrat und der IG Metall über „einen Interessenausgleich und ein Sozialplan für alle Beteiligten“ verhandeln und für die Betroffenen „sozialverträgliche Lösungen“ finden wolle, habe man zur Kenntnis genommen, so die Betriebsratsvorsitzende. Doch jetzt gehe es erst einmal darum, die ökonomische Situation des Unternehmens und die vorgebrachte Strategie zu überprüfen. Auf Anraten des Zweiten IG Metall-Bevollmächtigten Mathias Hillbrandt hat das 9-köpfige Betriebsratsgremium beschlossen, den Ökonomen Prof. Heinz-J. Bontrup zu beauftragen, ein Gutachten zu den Konzernplänen zu erstellen.
„Unsere Mitarbeiter sind die Architekten der Zukunft“, heißt es überschwänglich auf der Homepage der Wabtec Corporation. Und weil dies so bleiben soll, wollen sie den Kampf um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze aufnehmen, nach dem Motto: „Mensch hat Vorrang vor Rendite“.
Autor: Otto König