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Metall- und Elektroindustrie:  Tarifrunde gestartet

Doppelte Null? – Nicht mit uns!

Die Tarifrunde für die Metall- und Elektroindustrie hatte noch nicht einmal richtig begonnen, doch schon gingen die Kapitalvertreter in die Offensive und drängten auf eine „doppelte Nullrunde“.

Den Auftakt machte der Chef von Südwestmetall, Stefan Wolf, mit seiner Forderung im Handelsblatt nach „absolutem Maßhalten“, sprich einer Nullrunde für die 3,9 Millionen Beschäftigten der Branche. Gesamtmetall-Chef Rainer Dulger posaunte in der Süddeutschen Zeitung „Lohnerhöhungen sind weder dieses noch nächstes Jahr realistisch“ und forderte lauthals: „Alle müssen einen Beitrag zur Bewältigung der Krise leisten, auch die Beschäftigten“, denn: Es gebe nichts zu verteilen. Die Branche zahle ohnehin schon „die höchsten Löhne“, so der NRW-Metall-Arbeitgeberpräsident Arndt Kirchhoff, der eine Vier-Tage-Woche mit teilweisem Lohnausgleich für „abwegig“ findet.

Für Oliver Zander, den Hauptgeschäftsführer des Verbandes, ist sie sogar „totales Gift“ und „wirklich gefährlich“ für die Metallindustrie.

Da der Export auf absehbare Zeit keinen starken Wachstumsbeitrag leisten werde, „ist und bleibt die private Nachfrage im Inland der Schlüssel zur Stärkung der Binnennachfrage. „Eine doppelte Null für 2020 und 2021 wäre Gift für die Konjunktur. Wir müssen zwingend die Kaufkraft stärken“, sagte der IG Metall-Vorsitzende Jörg Hoffmann im Interview mit dem Handelsblatt (16.10.2020). Dies war auch der Tenor in den Debatten in den regionalen Tarifkommissionen der IG Metall am gleichen Tag. Ein Tarifabschluss müsse drei Aspekten Rechnung tragen: Zukunftssicherung, Beschäftigungssicherung und Stabilität bei den Einkommen.

Die IG Metall gehe „auch unter den jetzigen Rahmenbedingungen selbstbewusst in die Tarifrunde hinein“, die dazu beitragen müsse, „die Beschäftigung und die Einkommensentwicklung zu sichern“, sagte die IG Metall-Bevollmächtigte Clarissa Bader. Als Voraussetzung für die Aufstellung von Tarifforderungen, haben die Mitglieder der Tarifkommissionen die fristgerechte Kündigung der Tarifverträge zu Entgelten und zur Beschäftigungssicherung bundesweit beschlossen.

Zur Erinnerung: Unter dem Druck der Corona-Pandemie hatten sich Arbeitgeber und die IG Metall im Frühjahr auf eine Art „Nottarifabschluss“ ohne Entgelterhöhung für das laufende Jahr verständigt. Zuvor hatte die Gewerkschaft ein „Moratorium“ angeboten: Die IG Metall stellt keine Entgeltforderung, dafür verzichten die Arbeitgeber auf Entlassungen. Doch während die Gewerkschafter*innen in Vorleistung gegangen sind, haben die Arbeitgeber nie vorgehabt, ihrer Verantwortung für die Beschäftigten nachzukommen. Im Gegenteil: Teile der Arbeitgeber haben das Moratorium missbraucht. Im August waren 179.000 oder 3,1 Prozent weniger Menschen im verarbeitenden Gewerbe beschäftigt als ein Jahr zuvor. Das ist der stärkste Rückgang seit Mai 2010. Firmen wie MAN, Conti, Mahle und Schaeffler haben weiteren massiven Arbeitsplatzabbau und Verlagerungen ins Ausland angekündigt. Die Gründe haben wenig mit Corona-Krise und Strukturwandel zu tun, doch viel mit Steigerung der Profite.

Die Arbeitgeber, die in den zurückliegenden Boom-Jahren Milliarden Gewinne gescheffelt haben, die selbst in der Corona-Krise mit Milliarden-Hilfen aus Steuergeldern und der Arbeitslosenversicherung vom Staat und der Bundesagentur für Arbeit gestützt werden, legen es offensichtlich auf einen Konflikt an. Die Beschäftigten sollen die Folgen der Krise

bezahlen, zur Begründung tischen sie wieder das neoliberale Märchen auf, die Unternehmen würden Arbeitsplätze schaffen und sichern, wenn diese nur billig genug seien. Da kann man Rainer Dulger nur mit seinen eigenen Worten zitieren: „Das ist vollkommener Unsinn.“

Die IG Metall will ihre Forderungen für die anstehende M+E-Tarifrunde Mitte November präsentieren. Voraussichtlich werden die regionalen Tarifkommission am 17. November ein beziffertes Forderungsvolumen mit zwei Zielen beschließen: die Arbeitsplätze in der Krise und während der Transformation zu sichern sowie die Einkommen zu stabilisieren. Die Höhe wird mit den bekannten Faktoren begründet: der gesamtwirtschaftlichen Trend-Produktivitätsentwicklung von 1,0 bis 1,1 Prozent und der Zielinflationsrate der Europäischen Zentralbank von 2,0 Prozent – was einen „verteilungsneutralen Spielraum“ von etwa drei Prozent ergibt. Für die Arbeitgeber, die keinen „Verteilungsspielraum sehen“, so Gesamtmetall-Chef Dulger, vollkommen unverständlich.

Schon im Sommer hatte das Wirtschaftsforschungsinstitut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung davor gewarnt, mit geringen Lohnerhöhungen auf die Corona-Krise zu reagieren. Ein dauerhaft schwaches Lohnwachstum „wäre verheerend für die zukünftige Entwicklung“, stellten die Autoren einer vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) veröffentlichten Studie zur „Entwicklung der Arbeitskosten in Deutschland“ fest.

Selten waren die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen so unterschiedlich wie vor dieser Tarifrunde. Im Fahrzeugbau hat es im September wieder ordentliche Zahlen gegeben, die Hersteller sind weitgehend aus der Kurzarbeit raus. Der Autobauer Daimler hat gerade einen überraschend hohen Quartalsgewinn verkündet, und Siemens Healthineers gilt als Dax-Aspirant. 20 Prozent der Betriebe melden weiter eine gute Auftragslage, einige fahren wieder Sonderschichten. Viele Auto-Zulieferer stecken jedoch noch tief in der Auftragsdelle, weil sie nicht nur deutsche Hersteller beliefern, sondern auch den weiter schwächelnden europäischen und internationalen Markt. Und Branchen wie der Maschinenbau, die eng am Fahrzeugbau hängen, haben zum Teil noch alte Aufträge abgearbeitet und rutschen erst verspätet in die Krise. Dennoch: Die Metall- und Elektroindustrie scheint den Tiefpunkt der Krise überwunden zu haben, die Wirtschaft nimmt langsam wieder Fahrt auf. Und um diesen Prozess zu unterstützen, muss die Binnennachfrage gestärkt werden.

Darüber hinaus ist für die IG Metall die Einführung einer Viertagewoche eine Option, um möglichst viele Beschäftigte an Bord zu halten. „Wir brauchen zusätzliche tarifpolitische Instrumente, um eine mittel- bis langfristige Unterauslastung in Unternehmen bewältigen zu können“, sagte der Zweite IGM-Bevollmächtigte Mathias Hillbrandt. Vor allem nach Ende 2021, wenn die gesetzliche Kurzarbeitsregelung ausläuft, „brauchen wir Möglichkeiten, um die Arbeitszeit zu reduzieren und Kündigungen zu verhindern“.

Deshalb plädiert die IG Metall, so der nordrhein-westfälische IGM-Bezirksleiter Knut Giesler, für ein „Optionsmodell“, das den Betrieben mit der Möglichkeit der Vier-Tage-Woche Flexibilität bringe. Giesler spricht von einer „Brücke in die Zukunft“, die zusätzlich zum Instrument der Kurzarbeit erforderlich sei, um Jobs zu sichern. möglichst kombiniert mit Qualifizierung. Wenn lediglich Teile eines Betriebs von Stellenabbau bedroht sind, sollte es nach Einschätzung der IG Metall auch möglich sein, die Arbeitszeit nur in diesen Bereichen zu verkürzen. In Betrieben, in denen es nach wie vor gut laufe, strebe die IG Metall eine Entgeltentwicklung an, mit der die Kaufkraft gestärkt, und die Binnenkonjunktur belebt werde. An anderer Stelle könne beispielsweise das Geld eingesetzt werden, um einen teilweisen Lohnausgleich für die Vier-Tage-Woche zu finanzieren.

Die Debatte über die Tarifforderungen wird in den kommenden Wochen in den Betrieben und den IG Metall-Geschäftsstellen vor Ort weitergeführt. Am 17. November treffen sich erneut die Tarifkommissionen, um über die konkreten Forderungen abzustimmen. Beginnen sollen die regionalen Verhandlungen mit den Metall-Arbeitgebern am 16. Dezember.

Schon jetzt ist absehbar, dass es die Arbeitgeber auf einen Konflikt ankommen lassen wollen. Ob daraus eine große Auseinandersetzung mit Protest und Warnstreiks resultiert, ist noch offen. Natürlich ist es in der aktuellen Situation nicht einfach zu kämpfen. Allerdings werden gute Argumente am Verhandlungstisch nicht ausreichen, um eine „Nullrunde“ zu verhindern. 

 

 

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