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Nach Schichtende ins „Dorf des Widerstandes“

Der Fortbestand der Deutschen Edelstahlwerke (DEW) sei „akut gefährdet“, so argumentierte vor zwei Jahren die Geschäftsführung gegenüber dem Gesamtbetriebsrat. Damit das Unternehmen wieder „ins richtige Fahrwasser“ komme, würde ein Belegschaftsbeitrag benötigt. Am Ende der langwierigen Verhandlungen wurde mit der IG Metall eine „Abweichung vom Flächentarifvertrag“ vereinbart, mit dem schmerzhaften Ergebnis, dass die Jahressonderzahlungen für 2016 und 2017 „statt 110 Prozent nur 27,5 Prozent des Monatseinkommens“ betragen haben.

Da sich in Teilbereichen der Stahl- und Metallindustrie inzwischen die Unsitte eingeschlichen hat, sofort im Anschluss solcher Rahmentarifverträge weitere Arbeitnehmerbeiträge zu fordern, ließ der neue Antrag der Geschäftsführung nicht lange auf sich warten. „Doch der Gesamtbetriebsrat konnte mit Unterstützung der Beschäftigten die erneut geforderte Abweichung abwehren“, sagt Kai Keßner, Betriebsratsratsvorsitzender am Standort Hattingen der DEW Speciality GmbH + Co.KG. Das Unternehmen DEW – Produzent von „Hightech-Lösungen aus Spezialstahl“, gehört seit 2007 der in der Schweiz ansässigen Schmolz und Bickenbach AG, und beschäftigt in Witten, Krefeld, Siegen, Hagen und Hattingen rund 4.100 Arbeitnehmer*innen.

Kai Keßner wurde 1960 in Blankenstein geboren – mit Blick auf die Burg „Auf dem blanken Steyne“ und in der Nachbarschaft der ehemaligen Seilwerke Puth, wo sein Vater arbeitete. In der damals noch selbstständigen Stadt, heute ein Stadtteil von Hattingen, ist Kai aufgewachsen und dort besuchte er auch die Schule, die er nach einem Umzug in Herbede abschloss.  Wie viele in seinem Alter begeisterte sich Kai fürs Fußball spielen. Beim Hammertaler Sportverein 1891 e.V. spielte er zuletzt bei den „Alten Herren“.

Ein Praktikum auf der Henrichshütte in Hattingen war ausschlaggebend dafür, dass Kai Keßner am 1. September 1975 auf der Hütte eine dreieinhalbjährige Ausbildung als „Modell-Tischler“ begonnen hat. Wie damals üblich wurde er gleich zu Beginn der Ausbildung im Betriebsratsbüro in die IG Metall aufgenommen. Ein richtiger Schritt, denn Kai wird wie seine Kollegen in den folgenden Jahrzehnten erfahren „wie wichtig die Gewerkschaft im Kampf um den Erhalt von Arbeitsplätzen ist“, so der heutige Betriebsratsvorsitzende.

Nach dem erfolgreichen Abschluss der Ausbildung wurde er nicht in seinem erlernten Beruf übernommen, sondern war zunächst als Former tätig. Ein kurzer Abstecher in seinem Arbeitsleben führte ihn zum Modellbauer Geldmacher & Sohn in Sprockhövel, doch bald kehrte er wieder auf die Hütte zurück und nahm in der Qualitätsstelle des Walzwerks eine Tätigkeit auf bis er in die W3R wechselte, den Edelstahlbereich der Hütte.

Mit der angekündigten Stilllegung der 2,8-Meter-Grobblechstraße im Walzwerk im Jahr 1983 begann für Kai Keßner und die Hüttenarbeiter*innen ein länger andauernder Kampf um die Verteidigung der Arbeitsplätze, der 1987 in die zwölfmonatigen Auseinandersetzungen um den Stahlstandort Hattingen mündete. „Wir Stahlarbeiter waren nicht bereit zuzusehen, wie unsere Arbeitsplätze vernichtet werden. Also nahmen wir mit unserer IG Metall den Kampf für unsere Zukunft auf“, schildert Kai die damalige Ausgangssituation. Es folgten monatelange Kämpfe, in denen eine Aktion sich an die andere reihte: die Demonstration der 30.000 auf dem Rathausplatz, die Autocorsen in die damalige Hauptstadt Bonn, Duisburg und Düsseldorf, die Menschenkette der 5000 und nicht zuletzt das „Dorf des Widerstandes“ auf dem Hüttengelände. „Es war ganz selbstverständlich, dass wir nach Schichtende ins „Dorf gingen und uns an den zehntägigen Aktivitäten beteiligten“, erinnert sich der Gewerkschafter.

Anfang 1988: Der Arbeitskampf war beendet. Die Beschäftigten schieden über den Sozialplan aus oder wurden nach Duisburg, Krefeld und Witten versetzt. Die ersten Betriebsteile der Hütte wie die Hochofenanlage waren schon stillgelegt. Die Weiterverarbeitung, Teile des Stahlwerks und die Stahlformgießerei wurden in die Vereinigte Schmiedewerke (VSG) eingebracht, die Vergütung 5 und die W3R auf dem Hüttengelände verblieben bei der Thyssen Stahl AG (TSAG). In der W3R wählten die Kollegen Kai Keßner 1988 als Vertrauensmann der IG Metall und zwei Jahre später in den Betriebsrat der TSAG. Es war der damalige Betriebsratsvorsitzende Horst Linnemann der ihn ermunternde, sich auf Seminaren der Gewerkschaft das notwendige Wissen für die Interessenvertreterarbeit zu erwerben. Bis heute mischt er in der Delegiertenversammlung in der Geschäftsstelle Gevelsberg-Hattingen mit.

Es folgten weitere Eigentümerwechsel: 1996 brachte die Thyssen AG in Duisburg die Hattinger Vergütung in die Deutsche Edelstahlwerke Witten-Krefeld ein, die elf Jahre später von dem Schweizer Konzern Schmolz & Bickenbach mit Sitz in Luzern in der Schweiz übernommen wurden. Der Hattinger Standort, an dem sich die Beschäftigten weiterhin einen eigenständigen Betriebsrat erkämpften, wurde um die Abteilung Wärmebehandlung erweitert. Nach einer „Amts“-Pause wurde Kai 1996 erneut in das Betriebsratsgremium gewählt, übernahm die Funktion des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden und schließlich vor wenigen Wochen nach dem Rücktritt von Jochen Grabski das Amit des Vorsitzenden in dem dreiköpfigen Gremium, das 47 Beschäftigte in Hattingen vertritt.

Gefragt nach den aktuellen Schwerpunkten in der Arbeit des Betriebsrates schildert der IG Metaller die aktuellen Probleme beim organisatorischen Zusammenführen der beiden Bereiche „Vergütung und Wärmebehandlung“, schließlich geht es darum einen Lohnausfall beim Wegfall von Konti-Schichten zu verhindern. „Bei den Verhandlungen merkt man schon, welche Vorteile die Montan-Mitbestimmung hat“, erklärt Kai – auch wenn es manchmal knirsche, die Rahmenbedingungen zur Durchsetzung ihrer Forderungen seien einfach besser, wie in Kleinbetrieben. Zumal sich das Gremium vor Ort auf die Unterstützung des Gesamtbetriebsrates und der IG Metall zählen können.

Abschalten von der Maloche könne er am besten bei gemeinsamen Unternehmungen mit seiner Frau Adriana und ihrem Enkelkind, das sie schon auf Trapp halten würde.

Der DEW-Betriebsratsvorsitzende Kai Keßner in der Vergütung in Hattingen – Foto: IGM GH

  

 

 

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