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Nachholbedarf bei den Löhnen

Die Beiträge zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung, die Aufwendungen für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder Steuern auf die Lohnsumme treiben die Arbeitskosten in die Höhe, jammern die Arbeitgeber. Die „Strafsteuer auf Arbeit“ mache Deutschland zum Hochlohnland. Doch ist das wirklich so?

Seit Jahren boomt die Wirtschaft – dennoch liegt Deutschland bei den Arbeitskosten nur im Mittelfeld Westeuropas. Die Arbeitskosten in der privaten Wirtschaft sind einem aktuellen Report des Institutes für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) (1) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zufolge im vergangenen Jahr in Deutschland weniger stark gestiegen als im Mittel der Europäischen Union.

Große Ungleichgewichte in der Eurozone

Um 2,3 Prozent sind die Arbeitskosten in Deutschland 2018 gestiegen. Das klingt erstmal viel – entspricht aber nur dem Durchschnitt des Euroraums. Auch bei der Langfristbetrachtung ist festzustellen, dass die Arbeitskosten in der EU seit 2001 um 2,6 Prozent und im Euro-Raum um 2,3 Prozent zulegten, aber in Deutschland nur 2,1 Prozent. Bei den Arbeitskosten insgesamt rangiert Deutschland nach der IMK-Analyse mit 34,60 Euro auf Rang sechs im EU-Vergleich. Teurer ist die Arbeitsstunde in Dänemark (43,60 Euro), Belgien (41,70 Euro), Schweden (41,20 Euro), Luxemburg (37,40 Euro) und Frankreich (36,60 Euro).

In der Industrie liegen die Arbeitskosten (Bruttolohn und Lohnnebenkosten) hierzulande bei durchschnittlich 40,20 Euro pro Stunde, was Rang 4 im EU-Vergleich bedeutet. Im privaten Dienstleistungssektor sind die Kosten mit durchschnittlich 31,50 Euro deutlich geringer. Je nach Branche gibt es eine große Spreizung: Bei den Dienstleistern reicht sie von 18 Euro pro Stunde im Gastgewerbe bis hin zu 54,60 Euro bei Banken und Versicherungen. „Eine Erosion oder Gefährdung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen ist deshalb nicht auszumachen,“ heißt es in dem IMK-Report.

Im Gegenteil: Deutschland hat angesichts der „langen Phase der Lohnzurückhaltung“ weiter einen Nachholbedarf. Von Mitte der 1990er Jahre bis zur Finanz- und Wirtschaftskrise fielen die Lohnsteigerungen in Deutschland geringer aus als der gesamtwirtschaftliche Verteilungsspielraum und erfüllten nicht die Kriterien einer makroökonomisch orientierten Lohnpolitik. Dies war ein Faktor für die Entwicklung der Ungleichgewichte im Euroraum und einer schwachen Binnennachfrage, einer im europäischen Vergleich unterdurchschnittlichen Beschäftigungsentwicklung und ein nur mäßiges Wirtschaftswachstum in Deutschland. Erst nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 hätten die Arbeitskosten auch dank höherer Tarifabschlüsse zugelegt, stellen die Forscher fest. „Die deutsche Wirtschaft wachse solide, nicht trotz, sondern wegen der zuletzt etwas stärkeren Zunahme bei den Löhnen,“ sagt der ehemalige IMK-Direktor Gustav Horn.

Kräftige Lohnentwicklung wichtig

Der Report zeigt auch: Die Lohnkostenentwicklung in Deutschland liegt seit Beginn der Währungsunion noch immer unter dem Durchschnitt der Eurozone. Verstärkt wird dieses Problem durch die abnehmende Tarifbindung. Der 2015 eingeführte Mindestlohn hat zwar stabilisierend im unteren Lohnsegment gewirkt, konnte aber die langfristige Entwicklung nicht völlig verändern können.

Deshalb muss der vorhandene Spielraum nach oben genutzt werden. Der positive Trend von Beschäftigung und Löhnen muss fortgeschrieben werden, „um die Binnennachfrage in Deutschland zu stützen und Importe zu stärken“, so die IMK-Forscher. Eine kräftige Lohnentwicklung hierzulande ist auch für den Zusammenhalt in Europa wichtig.

Mehr Investitionen nötig

Der IMK-Report weist noch auf eine andere Baustelle hin: Der schlechte Zustand der Infrastruktur in Deutschland drückt die Produktivität der Unternehmen und bremst die Investitionen. Die Bundesregierung muss endlich handeln und mehr investieren. Notwendig sind Investitionen in die Infrastruktur, von der Straße bis zur Schiene, in Digitalisierung, in Bildung und in eine sozial gerechte und ökologische Transformation der Industrie. Nur so können künftig die gesellschaftlichen Herausforderungen gemeistert werden.

Anmerkung
(1) Alexander Herzog-Stein, Ulrike Stein, Rudolf Zwiener „ARBEITS- UND LOHNSTÜCKKOSTEN-ENTWICKLUNG 2018 IM EUROPÄISCHEN VERGLEICH“. IMK-Report 149, Juli 2019

Foto: DGB_Jrg Stber_123rf.com

 

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