Obszön

Konzerne kassieren Staatshilfen und schütten üppige Dividenden aus
Das Frühjahr ist die schönste Zeit für Aktionäre: Dann fließen die Dividenden. Während Millionen Beschäftigte während der Corona-Krise erhebliche Einbußen beim Entgelt hinnehmen mussten und noch müssen, schütten DAX-Konzerne ohne Skrupel Milliarden an Großinvestoren und Aktionäre aus.
Auch an den Börsen herrscht Goldgräberstimmung. Für die Hedgefonds-Branche war 2020 das beste Jahr seit zehn Jahren. Die Deutsche Bank hat aufgrund ihres Investmentbankings erstmals seit 2014 wieder Gewinne gemacht, und dies zum Anlass genommen, die Bonuszahlungen um 29 Prozent auf 1,9 Milliarden Euro zu erhöhen, während gleichzeitig über 1.000 Stellen abgebaut werden.
Es waren die Arbeitgeber, die in der diesjährigen Metall-Tarifrunde von Anfang an recht aggressiv tönten, dass es nichts »zu verteilen« gebe. Erst wenn die Kennzahlen wieder das Niveau von vor der Krise erreichen würden, seien Entgelterhöhungen möglich. Nach dem Motto „was interessiert mich mein Geschwätz von gestern“, planen nun die 100 größten Aktiengesellschaften ihren Anteilseignern für das Geschäftsjahr 2020 rund 40 Milliarden Euro von den Gewinnen zukommen zu lassen. Es sind Unternehmen, die gemessen an ihren Gewinnen offenbar sehr gut durch die Krise gekommen sind – nicht zuletzt deshalb, weil ihnen der Staat mit finanzieller Unterstützung unter die Arme gegriffen hat.
Zur Erinnerung: Seit dem Frühjahr 2020 mobilisiert die Bundesregierung Hilfen in beispielloser Höhe, um den Fortbestand von Unternehmen, Arbeitsplätze und Existenzen zu sichern. Das ist richtig so. Die Hilfen fließen einerseits über den eigens aufgebauten Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) und die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), andererseits über verschiedene Programme für kleine und mittelständische Unternehmen sowie über das Kurzarbeitergeld. Während die Hilfen über den WSF und die KfW an die Konditionen geknüpft wurden, dass für die Laufzeit der Hilfen keine Gewinne ausgeschüttet, keine Boni gezahlt und keine Aktienrückkäufe getätigt werden dürfen, ist das Kurzarbeitergeld bis heute ohne Auflagen geblieben. Ein fataler Fehler.
Im März 2020 posaunte Daimler-Chef Ola Källenius heraus: Das Unternehmen benötige keine Staatshilfe. Wenig später schickte der Automobilkonzern zehntausende Beschäftigte in Kurzarbeit, die Bundesagentur für Arbeit (BA) steuerte 700 Millionen Euro zur Finanzierung bei. Damit wurden die Krisenkosten für das Unternehmen gesenkt, die Konzernbilanz entlastet. Was dazu führte, dass auch während Pandemie 2020 der Gewinn gestiegen ist. Nun verkündete Källenius vor der Aktionärsversammlung, dass es trotz Krise gelungen sei, die Erwartungen »deutlich zu übertreffen«. Die Aktionäre sollen nun statt mit 90 Cent wie im Vorjahr nun mit 1,35 Euro pro Aktie und damit insgesamt 1,44 Milliarden Euro am Gewinn im Krisenjahr beteiligt werden, fast 50% mehr als beim letzten Mal.
Auch die Aktien stehen hoch im Kurs. Während sie im Dezember 2019 – bevor Corona kam – noch mit knapp 50 Euro pro Stück bewertet wurden, sind sie aktuell auf fast 75 Euro geklettert. Statt das Krisengeld an die BA und die Steuerzahler zurückzuzahlen, wird es nun über Umwege an Investoren durchgereicht, von denen die größten aus China und Kuwait kommen.
Auch bei BMW mussten 30.000 Beschäftigte im Frühjahr 2020 in Kurzarbeit, während sich die Erben Stefan Quandt 425 Millionen Euro und Susanne Klatten, 344 Millionen Euro auszahlen ließen. Auch für das abgelaufene Geschäftsjahr wollen BMW und VW Dividenden zahlen. Die Wolfsburger mit 4,86 Euro pro Aktie so viel wie im Vorjahr und BWM mit 1,90 pro Aktie etwas weniger als 2020.
Eine groteske Aktion vor dem Hintergrund, dass die BA durch die Finanzierung der Kurzarbeit für die Beschäftigten Millionen Euro zum Gewinn der Autokonzerne beisteuerte. Darüber hinaus profitierten Daimler, BMW, VW und Co. von weiteren staatlichen Subventionen wie der Innovationsprämie für E-Autos oder dem Flottenerneuerungsprogramm für Lkws. Subventionen, die die Unternehmen zuvor lauthals gefordert hatten. Da fragt man sich schon, wofür das ganze Gejammer, wofür die Kaufprämien und die Autogipfel, wofür die Forderung nach immer neuer staatlicher Unterstützung für den anstehenden Strukturwandel in der Automobilindustrie. Warum wird den Konzernen und ihren Anteilseignern kein unternehmerisches Risiko zugemutet?
Es verwundert nicht, dass bei einer Umfrage der Berliner Meinungsforscher Civey für die Automobilwoche 83 Prozent der rund 5000 Befragten es als „falsch“ einstuften, dass der Autohersteller Daimler mehr Gewinn an die Aktionäre ausschüttet, obwohl er Staatshilfen durch Kurzarbeitergeld bekam. Nur 8,6 Prozent sind der Meinung, dass dies richtig ist. Die größte Unterstützung für Daimlers Dividendenpolitik kommt aus den Reihen von Anhänger*innen der CDU/CSU sowie der FDP und AfD, während die Ablehnung bei Grünen, SPD und Linke gleichermaßen groß ist.
Fakt ist: Sich mit Mitteln aus dem Staatshaushalt unterstützen zu lassen und gleichzeitig Gewinne auszuschütten, ist nicht nur obszön und moralisch verwerflich, sondern auch aus ökonomischer Sicht falsch. Denn zum einen sind Pandemie und Wirtschaftskrise noch nicht überstanden, und zum anderen benötigen die Autokonzerne und Zulieferer alle Mittel, um die Transformation zur Elektromobilität stemmen zu können, ohne tausende Arbeitsplätze abzubauen.
Dass sich das prinzipiell auch anders regeln lässt, haben uns die Nachbarn in den Niederlanden vorgemacht: Dort gilt – nach großer öffentlicher Empörung – inzwischen ein Verbot für große Unternehmen, Kurzarbeitergeld zu beziehen und trotzdem Gewinne auszuschütten.
Kommentar von Otto König