Persönlichkeitsrechte werden nicht am Werktor abgegeben

Gevelsberg. „Big Brother“ am Arbeitsplatz: Ein Arbeitgeber verdächtigte einen Beschäftigten, den dienstlichen Computer für private Zwecke zu nutzen. Der Chef wollte es genau wissen. Er ließ heimlich alle Tastatureingaben seiner Beschäftigten an den Dienstcomputern automatisch aufzeichnen und wollte dann die Daten für eine Kündigung verwenden. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in einem aktuellen Grundsatzurteil entschieden, dass eine derartige pauschale Totalüberwachung durch eine spezielle Spähsoftware unzulässig ist. Die Kündigung ist unwirksam.
Spähsoftware „Keylogger“ erfasst jeden Mausklick
Der Fall: Ein Arbeitgeber hatte die private Nutzung von Dienstgeräten verboten und kündigte an, dass er zukünftig sämtlichen „Internet-Traffic“ und die Benutzung der Systeme „mitloggt“ und die Daten dauerhaft speichert. Er installierte auf den Dienstrechnern einen sogenannten Keylogger – eine Spähsoftware, die jede Tastatureingabe protokolliert und Screenshots des Bildschirms anfertigt. Diese Software ist besonders gefährlich, weil auch hochsensible Daten wie Benutzernamen und Passörter erfasst werden und allen zugänglich gemacht werden, die auf die Überwachungsprotokolle Zugriff haben.
Kündigung wegen privater Nutzung des Dienstcomputers
Bei der Auswertung der Daten zeigte sich, dass ein Web-Entwickler seinen Rechner privat genutzt hat. Er räumte gegenüber seinem Vorgesetzten ein, dass er während der Arbeitszeit sowohl Dispositionsarbeiten für die Firma seines Vaters erledigt als auch in den Pausen an einem von ihm entwickelten Computerspiel gearbeitet habe. Er wurde mit sofortiger Wirkung von der Arbeit freigestellt und bekam die Kündigung. Dagegen erhob der Betroffene eine Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Herne.
Der Arbeitgeber meinte hingegen, die Erhebung und Nutzung der aufgezeichneten Daten sei zulässig, weil er aufgrund der untersagten Privatnutzung der Dienstcomputer weitgehende Kontroll- und Überwachungsrechte habe.
Vorinstanzen schmettern Kündigung ab
Die Vorinstanzen, das örtliche Arbeitsgericht in Herne und das Landesarbeitsgericht in Hamm, hatten die Kündigung wieder aufgehoben, obwohl eine Pflichtverletzung nicht ausgeschlossen wurde. Die Richter werteten die Installation des Keyloggers jedoch als so starken Eingriff in Persönlichkeitsrechte des Beschäftigten, dass die gewonnenen Daten nicht als Beweismittel dienen könnten. Sie stellten fest: Es bestehe ein Verwertungsverbot. Nach Ansicht der Arbeitsrichter gab es in diesem Fall „keinen auf Tatsachen beruhenden Verdacht einer Straftat oder einer anderen schwerwiegenden Pflichtverletzung“. Eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung sei ohnehin nicht zulässig.
Bundesarbeitsgericht stützt diese Rechtsauffassung
Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt folgte der Argumentation. Denn durch den Einsatz der Überwachungssoftware habe das Unternehmen das Recht des Arbeitnehmers auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. „Das Persönlichkeitsrecht“, sagte der Senatsvorsitzende Ulrich Koch, werde „nicht am Werkstor abgegeben“. Für den Einsatz von Überwachungsprogrammen setzten die Richter in ihrer Entscheidung sehr enge Grenzen.
Der Einsatz eines Software-Keyloggers, mit dem alle Tastatureingaben an einem dienstlichen Computer für eine verdeckte Überwachung und Kontrolle des Arbeitnehmers aufgezeichnet werden, ist nach § 32 Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz unzulässig, wenn kein auf den Arbeitnehmer bezogener, durch konkrete Tatsachen begründeter Verdacht einer Straftat oder einer anderen schwerwiegenden Pflichtverletzung besteht.
Eine Überwachung „ins Blaue hinein“ sei unverhältnismäßig, befanden die Erfurter Richter. Damit folgten sie einem früheren Grundsatzurteil des BAG zur Thematik die heimliche Videoüberwachung von Beschäftigten. Danach ist der pauschale und dauerhafte Einsatz von Kameras unzulässig.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27. Juli 2017 – 2 AZR 681/16 –
Hinweis: Rechte des Betriebsrates
Nach § 87 Abs.1 Ziffer 6 BetrVG unterliegt die Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der ArbeitnehmerInnen zu überwachen, der zwingenden Mitbestimmung des Betriebsrates. Es spielt dabei keine Rolle, ob der Arbeitgeber eine Überwachung tatsächlich beabsichtigt: Es reicht aus, dass die technische Einrichtung eine Kontrolle der ArbeitnehmerInnen ermöglicht und es allein vom Willen des Arbeitgebers abhängt, ob dieser die Kontrollmöglichkeiten nutzt.
Die Einführung und Anwendung von Internet- und Email-Systemen sowie jeglicher Tools zur gezielten Überwachung von Beschäftigten unterliegt damit grundsätzlich der Mitbestimmung des Betriebsrates, da bereits Standardsoftware über Protokollfunktionen verfügt, die eine umfassende Überwachung der Internet- und E-Mail-Nutzung ermöglichen. Das bedeutet, dass ohne Zustimmung des Betriebsrates keine Internet- und E-Mail-Systeme – auch nicht für die dienstliche Nutzung – eingeführt werden dürfen.
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