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Raserei des Coronavirus offenbart Narretei des Krieges

Mitten in der Coronakrise richtete UN-Generalsekretär António Guterres einen eindringlichen Appell an die Weltbevölkerung und deren Regierungen: „Die Raserei des Virus offenbart die Narretei des Krieges“. Vor dem Hintergrund, dass die Corona-Pandemie eine Bedrohung für alle darstellt – unabhängig von Zugehörigkeit, Nationalität, Ethnizität und Glauben, appellierte Guterres an alle Konfliktparteien auf dem Globus: „Ziehen sie sich von allen Kampfhandlungen zurück. Bringen sie die Gewehre zum Schweigen, stoppen sie die Artillerie, beenden sie die Luftschläge“. Es sei an der Zeit, sich gemeinsam „auf den wahren Kampf unseres Lebens zu konzentrieren.“

Wenige Tage zuvor hatte sich NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, ebenfalls an die Öffentlichkeit gewandt und sich gebrüstet, dass die Einsatzbereitschaft des transatlantischen Militärbündnisses trotz der Corona-Pandemie nicht eingeschränkt wäre: „Unsere Arbeit geht weiter; einschließlich der multinationalen Battlegroups im Osten des Bündnisgebietes; dem NATO Air Policing; unserer Marine-Einsätze; und unserer Einsätze von Afghanistan bis in den Kosovo“. Gleichzeitig appellierte der militaristischen Hardliner an die Regierungen der Mitgliedsstaaten, „trotz der zu erwartenden finanziellen und ökonomischen Einbußen an der Erhöhung der Rüstungsausgaben festzuhalten“.

Angesichts der von der US-amerikanischen John Hopkins Universität bestätigten Zahlen, dass weltweit 1342936 Millionen Menschen sich mit dem Virus Sars-CoV-2 infiziert haben und 74.501 Menschen (Stand: 07.04.2020) nach einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus gestorben sind, ist das Beharren von Stoltenberg auf der „2%-Aufrüstungspeitsche“, wonach die Mitgliedstaaten bis 2024 mindestens 2% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) fürs Militär ausgeben sollen, infam. Schon heute geben die 29 NATO-Mitglieder 52 Prozent der globalen Militärausgaben in Höhe von 1822 Milliarden US-Dollar aus.

Während die Welt unter dem Corona-Virus ächzt, floriert der globale Waffenhandel. Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI hat für die vergangenen fünf Jahre von 2015 bis 2019 eine „dramatische Steigerung“ der Rüstungsexporte ermittelt. Wie aus dem im März veröffentlichten „Fact Sheet, Trends in International Arms Transfers, 2019“ hervorgeht, stammen 60 Prozent aller globalen Waffenexporte aus Waffenschmieden der USA (36%) und der EU (24%).

Die Vereinigten Staaten sind mit Abstand der größte Waffenhändler der Welt.  Auf Platz 2 der Waffenexporteure steht Russland, dessen Anteil sich jedoch von 27% auf 21% verringert hat, gefolgt von Frankreich (7,9%) und Deutschland (5,8%) auf Rang vier, noch vor China (5,5%). Diese Top fünf Länder liefern fast dreiviertel (74,2%) des schweren Kriegsgeräts an Abnehmer in den USA und Europa, aber auch an Empfängerstaaten in die Kriegs- und Krisenregionen im Nahen und Mittleren Osten. Mit 51 Prozent gingen zwischen 2015 und 2019 mehr als die Hälfte der US-Kriegsmaterialexporte auf die arabische Halbinsel. Hier befinden sich laut SIPRI sechs der zehn größten Importeure von Kriegsgerät.

Vor allem Saudi-Arabien hat seine Rüstungskäufe um 130 Prozent aufgestockt und ist mit einem Anteil von zwölf Prozent am Weltmarkt größter Abnehmer schwerer Waffen wie Kampfflugzeuge, präzisionsgelenkte Bomben und anderen todbringenden Produkten. Neben der Krisenregion am Persischen Golf rüsten die Nato-Staaten insbesondere potenzielle Rivalen Chinas auf. So ist Australien viertgrößter Waffenimporteur, das zuletzt 4,9 Prozent aller Einfuhren schwerer Waffen weltweit tätigte. Siebtgrößter Waffenimporteur der Welt ist Südkorea (3,4 Prozent), das im Zeitraum von 2015 bis 2019 beinahe ein Drittel seiner Rüstungskäufe in Deutschland getätigt hat.

Obwohl die schwarz-rote Bundesregierung immer wieder betont, dass sie eine „restriktive“ Rüstungsexportpolitik betreibe, gehört die deutsche Rüstungsindustrie mit einem Plus von 17 Prozent in den vergangenen fünf Jahren zu den „Gewinnern“. Dazu haben die Waffen-lieferungen nach Südkorea, Ägypten, Griechenland, Kolumbien, Italien und Israel beigetragen; diese machten insgesamt 39 Prozent der deutschen Gesamtausfuhren aus. Der  jüngste Rüstungsexportbericht der GroKo vom November 2019 bestätigt, dass Im ersten Halbjahr 2019 Rüstungsexporte im Wert von über 800 Millionen Euro an Ägypten sowie der Verkauf von Ortungsradar an die Vereinigten Arabischen Emirate genehmigt wurde, die aktiv an dem blutigen Krieg im Jemen beteiligt waren. Dass die Nahost-Exporte mit einem Anteil von 24 Prozent deutlich niedriger lagen als bei den wichtigsten Konkurrenten im Waffengeschäft, ist darauf zurück zu führen, dass seit Herbst 2018 Saudi-Arabien als Großkunde für deutsche Rüstungsschmieden ausgefallen ist. (1)

Alles in allem, für den Vorstandschef der Düsseldorfer Waffenschmiede Rheinmetall über den „Super-Zyklus“ in der Rüstungsindustrie in Jubel auszubrechen, als er Anfang März ein sattes Umsatzwachstum und Auftragseingänge in Rekordhöhe in der Rüstungssparte des Konzerns verkündete. Während der Unternehmensbereich Automotive wegen der Schwäche der Automobilbranche im Jahr 2019  um 6,6 Prozent eingebrochen ist, hatte die Rüstungssparte eine Steigerung um 9,4 Prozent auf über 3,5 Milliarden Euro zu verzeichnen, und konnte ihr operatives Ergebnis um 35 Prozent auf 343 Millionen Euro verbessern. Als international agierender Systemanbieter für die Streitkräfte profitierte Rheinmetall vom anhaltenden Boom im wehrtechnischen Geschäft.

Die weiteren Geschäftsperspektiven sind ausgezeichnet. Hintergrund ist die massive Aufrüstung vor allem der westlichen Staaten; da diese in ihren Budgets anschwellende Wehrhaushalte „auf Jahre hinaus fest eingeplant“ haben, könne „die Rüstungsbranche … als krisensicher“ gelten, insbesondere auch in Zeiten der Corona-Pandemie urteilen Börsen- Analysten, und stufen „Rüstungsaktien zurzeit als äußerst lukrativ ein“. Schließlich wird der der Wehretat für die Bundeswehr in diesem Jahr auf 45,1 Milliarden Euro steigen und die Rüstungsetats der europäischen Staaten werden zusammen 300 Milliarden Euro übertreffen. Allein für das US-Militärbudget ist in 2020 ein Betrag von 704,6 Milliarden US-Dollar beschlossen. (Telepolis 17.2.2020).

Während die Vereinigten Staaten in die Modernisierung ihrer Atomwaffen und in neue Mittelstreckenraketen investieren, werden von den europäischen Staaten insbesondere neue Kampfflugzeuge angeschafft, so das SIPRI-Institut. Westeuropäische Staaten gaben Ende 2019 Bestellungen für 380 neue Kampfflugzeuge auf, es handelt sich um die Modelle F-35s und F-16s des US-ameriknanischen Herstellers Lockheed Martin.

In Deutschland soll die überalterte Tornado-Flotte der Bundeswehr vom Jahr 2025 an durch bis zu 90 weitere Eurofighter-Jets sowie 45 F-18-Kampflugzeuge des US-Herstellers Boeing abgelöst werden. Dabei seien 30 der F-18 in der Version „Super Hornet“ für die „Nukleare Teilhabe“ vorgesehen, 15 weitere F-18 „Growler“ für den „elektronischen Luftkampf – das Stören, Niederhalten und Bekämpfen gegnerischer Luftabwehrstellungen. Die Eurofighter seien für „den Einsatz konventioneller Bomben und als Jagdflugzeug“ gedacht. Darüber hinaus steht das kostspielige Großprojekt – der neue deutsch-französischen Kampfjet (Future Combat Air System, FCAS) – für den laut Schätzungen mindestens 90, womöglich sogar mehr als 100 Milliarden Euro ausgegeben werden müssen, in den Startlöchern.

Für Friedensaktivist*innen ist dies Grund genug, unablässig für Frieden, Abrüstung und eine gerechte Welt zu streiten. Doch ausgerechnet im 60. Jahr der Ostermarschbewegung (2) können Forderungen wie „abrüsten statt aufrüsten“, sofortiger Stopp aller Waffenexporte und Einstieg in Rüstungskonversion, Beitritt Deutschlands zum Vertrag zum Verbot von Atomwaffen, keine Stationierung von Mittelstreckenraketen in Europa nicht auf die Straßen und Plätze getragen werden. Wegen der Corona-Pandemie haben die Landesregierungen Kontaktverbote für Gruppen ab zwei bzw. drei Personen bis mindestens zum Ende der Osterferien ausgesprochen und damit faktisch das Grundrecht Versammlungsfreiheit ausgehebelt.  

Dennoch will die Friedens- und Antiatombewegung nicht auf Proteste verzichten.  Da Spaziergänge von bis zu 2 Personen nicht nur erlaubt, sondern für die „Erhaltung körperlichen Wohlergehens und geistiger Munterkeit förderlich und sinnvoll“, rufen beispielsweise die Kölner Friedensfreunde am Ostersamstag dazu auf, um 14.00 Uhr vom Heinrich-Böll-Platz aus mit mindestens 2 Metern Abstand zu anderen Spaziergängern im Gänsemarsch mit Fahnen oder einem beschrifteten Plakaten zum Kennedy-Ufer zu laufen. Zuvor um 12.00 Uhr startet der Online-Ostermarsch des „Ostermarsch Rhein Ruhr“ mit einem Videozusammenschnitt mit Musik und kurzen Redebeiträgen (www.ostermarsch-ruhr.de).

„Die Coronakrise führt uns vor Augen, wie wichtig ein funktionierendes und gut ausgestattetes Gesundheitssystem ist“, heißt es in dem Aufruf „Geld für Gesundheit statt für Rüstung!“  Jahrelang seien wichtige Bereiche im Gesundheitswesen privatisiert und beim Personal gespart worden, während die Bundesregierung gleichzeitig Milliarden Euro für Rüstung und Militär ausgegeben hat. Die staatlichen Ausgaben für Verteidigung machen rund 12% (45 Mrd. Euro) aus, die für Gesundheit lediglich 4 % (15 Mrd. Euro) des Bundeshaushalts aus. Doch statt mehr Geld für Panzer oder Kampfflugzeuge auszugeben, müsse dies für die Finanzierung von mehr Intensivstationen und vor allem für gut ausgebildetes und gut bezahltes Personal eingesetzt werden. Die Bundesregierung sowie alle Bundestagsabgeordneten werden aufgefordert: „Die Rüstungsausgaben zu reduzieren und das Geld stattdessen in das Gesundheitswesen zu investieren.“ (3)

Artikel von Otto König, ehemaliger 1. Bevollmächtigter der IG Metall (Hattingen) und Richard Detje, Redakteur der Zeitschrift Sozialismus (Hamburg)

Anmerkungen

(1)SPD und CDU/CSU hatten sich im März 2018 im Koalitionsvertrag auf einen Rüstungsexportstopp für die unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligten Länder – zu denen Saudi-Arabien gehört – verständigt. Ein kompletter Exportstopp gegen Saudi-Arabien wurde jedoch erst ein halbes Jahr später nach der Ermordung des regierungskritischen Journalisten Jamal Khashoggi verhängt und seitdem zweimal verlängert – zuletzt bis zum 31. März 2020. Eine Entscheidung über eine weitere Verlängerung steht noch aus.                             

(2) Am Karfreitag vor 60 Jahren, den 15. April 1960, starteten Atomkriegsgegner zum ersten Ostermarsch in Deutschland. Aus Bremen, Hamburg, Braunschweig und Hannover sind kleine Gruppen von Protestierenden zu Sternmärschen zum NATO-Truppenübungsplatz Bergen-Hohne im Süden der Lüneburger Heide aufgebrochen. 1963 nannte sich die Bewegung offiziell in „Kampagne für Abrüstung“ um. Der Protest richtet sich nicht mehr nur allein gegen Atomwaffen: Die Ostermarschierer gehen für den Frieden auf die Straße, für totalen Waffenverzicht und für gute Beziehungen zwischen den Ländern. 1968 erreichte die westdeutsche Ostermarsch-Bewegung ihren Höhepunkt, 300.000 Menschen nehmen an Kundgebungen teil.

(3) Weitere Aktivitäten an Ostern können auf der Website www.friedenskooperative.de eingesehen und der Aufruf unter https://www.friedenskooperative.de/gesundheit-statt-ruestung unterzeichnet werden.

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