Rechtsextreme AfD in existenzieller Krise
„Nationalistisch-völkisches“ Bündnis zerlegt sich

In der AfD brodelt und kracht es überall. „Es ist vergifteter, destruktiver Machtkampf, der seit Monaten tobt. Es ist eine Form der Selbstzersetzung der Partei“, so beschreibt der Berliner Politikwissenschaftler Hajo Funke den einsetzenden Erosionsprozess der rechtsextremen Partei.
Ende November vergangenen Jahres erklärte Parteichef Jörg Meuthen, noch beseelt von hohen Umfragewerten, kurzerhand die AfD für regierungsfähig: „Es läuft alles auf uns zu“. Nur vier Monate später stürzt das nationalistisch-völkische Bündnis, eine Ansammlung verschiedener rechter und rechtsradikaler Traditionen, in eine existenzielle Krise. Hässlich war man in der Partei zwar immer schon miteinander umgegangen, seit Gründung der AfD gibt es Intrigen, streuen Mitglieder Gerüchte über Depressionen, Schulden und Alkoholsucht, um internen Gegnern zu schaden.
Trotzdem hatte die rechte Partei Wahlen gewonnen, vor allem in Ostdeutschland – trotz Björn Höckes Dresdner „Schandmal“-Rede, Alexander Gaulands „Vogelschiss“-Ausführungen, Beatrix von Storchs „Schießbefehl“ und anderer gewaltverherrlichender, zum Teil rechtsextremer Skandale. Der in der AfD vorherrschende völkische Nationalismus, die Massenabschiebeprogramme mit „unvermeidlichen Härten“, so der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke, die Rede von der „Umvolkung“ (das deutsche Volk werde ausgetauscht – wahlweise gegen Migranten, Geflüchtete oder Muslime) und antisemitische Verschwörungstheorien – waren bisher kein Grund für Auseinandersetzungen in der AfD.
Mandatsträger wie der Freiburger Rechtsanwalt Dubravko Mandic, konnten ungestört Posts auf Facebook verbreiten, wie: „Mit Merkel zusammen müssen etwa 870.000 Kollaborateure aus den Ministerien, Fernsehstudios, Lehrkörpern, Sozialämtern und Gewerkschaften entsorgt werden. Endlich wird in Deutschland aufgeräumt.“ (KONTEXT Wochenzeitung, 25.03.2020)
Erst die Beobachtung des „völkischen Flügels“ durch den Inlandsgeheimdienst hat eine innerparteiliche Debatte ausgelöst, die seit Wochen hohe Wellen schlägt. Die Polizisten, Lehrer und Professoren in der Partei fürchten plötzlich um ihre Jobs und Ansprüche auf ihre Pensionen, sehen ihre berufliche sowie ökonomische Absicherung in Gefahr. Deshalb sollte mit der Auflösung des „Flügels“ und dem Rauswurf des Ex-Brandenburger AFD-Chefs Andreas Kalbitz (1) dem Verfassungsschutz signalisiert werden, ihr braucht uns nicht zum „Verdachtsfall“ zu erklären, wir räumen am ganz rechten Rand selbst auf.
Glaubwürdig ist das nicht: Denn lange hat Jörg Meuthen, der fünf Jahre Parteivorsitzender ist, den Schwenk in der Partei in Richtung Rechtsextremismus mitgetragen. Er hat das Codewort für den rechtsextremen, völkischen Flügel ständig im Mund gehabt, das da heißt: Wir haben mit Kulturfremden nichts zu tun. Das ist fast identisch mit dem, was Björn Höcke sagt, wenn dieser von der Verbannung von Millionen Minoritäten aus Deutschland spricht und wie in seinem Buch „Nie zweimal in denselben Fluss“ eine „wohltemperierte Grausamkeit“ fordert. (Hajo Funke)
Die danach stattgefundene Selbstauflösung der Rechtsaußen-Strömung „Flügel“ ist jedoch nichts weiter als eine Schmierenkomödie – eine strategische Kosmetik. Die Auflösung dient allein dem Zweck, der Öffentlichkeit vorzugaukeln: Seht her, wir tolerieren keine demokratiefeindlichen und rassistischen Vereinigungen in der Partei. Der „Flügel“ funktioniert allerdings innerhalb der AfD wie ein Netzwerk, deshalb ändert seine formale Auflösung nicht wirklich etwas an den Strukturen. Der „völkische Geist“ in der AfD ist nach wie vor quicklebendig.
Der inzwischen offen ausgebrochene Streit lässt vor allem in den AfD-Westverbänden schwelende Konflikte wieder aufflammen. In den Landtagen in Hannover und Kiel haben mehrere Abgeordnete die Fraktionen verlassen, die dadurch so klein wurden, dass sie ihren Fraktionsstatus und damit wichtige parlamentarische Instrumente verloren haben. Die bayrischen Parlamentarier hatten sich vor zwei Wochen so heftig gestritten, dass sie ihre Herbstklausur abbrechen mussten, bevor sie überhaupt eine Tagesordnung beschließen konnten. In Berlin hat Landeschef Georg Pazderski den „Flügel“-Sympathisanten vorgeworfen, die Aufarbeitung eines Finanzskandals zu sabotieren. In Bremen forderten Mitglieder die Abwahl des Landesvorstands wegen „Kontakten ins rechtsextreme Milieu“ und wurden dafür im Gegenzug von ihren Chefs abgemahnt.
Die Schablone für den bizarren Machtkampf um die Vorherrschaft in der Partei ist immer dieselbe: Vermeintlich „moderate“ Rechte (national orientierte Neoliberale und Konservative) liegen im Streit mit Rechtsextremisten und völkischen Flügel-Anhängern. Im Kern geht es um den Umgang mit dem nun sogar amtlich vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften „Flügel“ und seinen Führungsfiguren, wie Björn Höcke und Andreas Kalbitz. Und es geht darum wechselseitig Konkurrenten auszuschalten. Letztlich ist es schlicht Missgunst und Karrierismus, die die AfD als das entlarven was sie auch ist: eine Beutegemeinschaft zumeist aggressiver Männer.
Auch inhaltlich dringt die AfD in der politischen Arena nicht mehr so richtig durch. Geflüchtete und Zuwanderung bestimmen die politische Agenda schon lange nicht mehr. Natürlich versuchen die Rechten, auf neue Themen zu setzen, etwa auf Sozialpolitik und Ökonomie. Während die Nationalneoliberalen eine radikalisierte FDP-Politik anpreisen, gibt sich der völkische Flügel nationalsozial, so werden beispielsweise in der Sozial- und Rentenpolitik Maßnahmen „nur für Deutsche“ gefordert. Und in Bezug auf die wirtschaftliche Entwicklung sagte der langjährige Pressesprecher der AfD in einem vermeintlich vertraulichen Gespräch mit der rechtslastigen YouTuberin Lisa Licentia am 23. Februar 2020 in Berlin-Mitte: „Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD. Das ist natürlich scheiße, auch für unsere Kinder. (…) Aber wahrscheinlich erhält uns das.“
Aber damit werden im Vergleich zu den rassistischen Kampagnen nur begrenzte Wirkungen erzielen. Eindrucksvoll zeigt sich das beim Thema Corona – hier wurden völlig gegenteilige Botschaften formuliert. US-Präsident Donald Trump lässt grüßen. Ende Februar hatte AfD Vize-Fraktionschefin Alice Weidel die Bundesregierung noch aufgefordert, die Corona-Pandemie endlich ernst zu nehmen. Danach würdigten Ex-Parteichef Alexander Gauland sowie der Höcke-Vertraute Jürgen Pohl im Bundestag die Bundesregierung für ihr Corona-Hilfspaket. Schließlich änderte die Partei erneut ihre Strategie. Seither wird Covid-19 als „milde Grippe“ abgetan, die Pandemie-Maßnahmen als Vehikel für Einschränkungen der Grundrechte diffamiert. AfD-Politiker demonstrieren gemeinsam mit anderen rechtsradikalen Gruppierungen und Verschwörungsgläubigen.
Vergangene Woche sorgten menschenverachtende Gewaltfantasien des mittlerweile fristlos gekündigten Pressesprechers der AfD-Bundestagsfraktion weit über Deutschland hinaus für Schlagzeilen. In heimlich mitgeschnittenen Aufnahmen des Senders ProSieben fragte Lisa Licentia ihn: „Vor allem klingt das so, als ob es in deinem Interesse wäre, dass noch mehr Migranten kommen?“ Darauf Lüth: „Ja. Weil dann geht es der AfD besser. Wir können die nachher immer noch alle erschießen. Das ist überhaupt kein Thema. Oder vergasen, oder wie du willst. Mir egal!“ (2) Der Fall Lüth ist nur die bizarre neueste Spitze in einer endlosen Reihe von Skandalen der AfD-Repräsentanten.
Doch trotz sinkender Umfragewerte sollte die AfD nicht einfach abgeschrieben werden. Möglicherweise liefern der weitere Fortgang der Corona-Wirtschaftskrise und vor allem die Kahlschlagpläne der Unternehmen – die ganze Standorte in Frage stellen und hunderttausende Arbeitsplätze vernichten wollen – den braunen Nährboden für zukünftige rechtsradikale Tendenzen. Denn Angst sucht nach angeblich Schuldigen, nach Sündenböcken. Es ist deshalb die Aufgabe von Gewerkschafter*innen über die tatsächlichen Ursachen und die wirklichen Schuldigen der Arbeitsplatzvernichtung aufzuklären und Alternativen aufzuzeigen.
Der gewerkschaftlichen Aufklärungsarbeit kommt in der Auseinandersetzung mit der AfD auch künftig ein hoher Stellenwert zu. Vor Ort und im Betrieb muss eine politische, eine inhaltliche Auseinandersetzung erfolgen nach dem Motto „klare Kante und offene Tür“ (Hans-Jürgen Urban). Dazu muss auch die IG Metall-Bildungsarbeit Beiträge leisten. Jedoch nicht nur in Seminaren, auch andere Orte der Bildungsarbeit gehören dazu: Vertrauensleute-Sitzungen und Betriebsversammlungen, Ortsvorstands-Sitzungen und Delegiertenversammlungen. Denn: Die IG Metall vertritt seit jeher Grundwerte wie Solidarität, Internationalismus und Antifaschismus.
Autor: Otto König
Anmerkungen
(1) Der Vorwurf: Andreas Kalbitz habe vor allem beim Eintritt in die AfD seine Mitgliedschaft im rechtsextremen deutschen Jugendverein Heimattreue Deutsche Jugend e.V. (HDJ) verschwiegen. Der 1990 gegründete Jugendverband mit neonazistischer Ausrichtung, der 2009 mit sofortiger Wirkung verboten wurde, hatte bis dahin ca. 400 Mitglieder.
(2) Im Frühjahr 2020 wurde Christian Lüth als Pressesprecher der AfD-Bundestagsfraktion beurlaubt, weil er sich in einem Chat als „Faschist“ bezeichnet und von seiner „arischen“ Abstammung gesprochen hatte. Mitte September meldete der Spiegel, Lüth bekomme als „Medienkoordinator“ eine neue Aufgabe in der Fraktion. Dann wurde eine Dokumentation des Privatfernsehsenders Pro sieben ausgestrahlt, in der Lüth mit drastischem Nazivokabular vorkommt. Nachdem Zeit online noch vor der Ausstrahlung der Dokumentation den Namen von Lüth veröffentlichte, dauerte es bis zu seiner fristlosen Kündigung nur wenige Stunden.