Rechtsextreme Verschwörung

Großrazzia gegen „Reichsbürger“ mit Umsturzplänen
Anfang Dezember gab es eine Großrazzia: 3.000 Sicherheitskräfte – Beamte des Bundeskriminalamtes, der GSG 9 und mehrerer Spezialeinsatzkommandos gingen bundesweit gegen Reichsbürger und die reichsideologische „Patriotische Union“ (PU) vor. Spezialeinsatzkommandos durchsuchten über 130 Objekte in elf Bundesländern sowie im österreichischen Kitzbühel und im italienischen Perugia. Seither sitzen 25 Personen in Untersuchungshaft, gegen 29 weitere wird ermittelt.
Zu den Festgenommenen gehört der Immobilienunternehmer Prinz Heinrich Reuß (1), der auch unter dem Adelstitel Prinz Heinrich XIII. firmiert, eine der Führungsfiguren der rechts-extremen Terrororganisation aus dem Reichsbürgermilieu. Darunter sind auch frühere Bundeswehrangehörige wie der Fallschirmjägerkommandeur Rüdiger von Pescatore, der den militärischen Arm der Vereinigung geleitet haben soll, ein suspendierter Polizist, eine Ärztin, ein Jurist sowie die Richterin und ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann. (2) Der Generalbundesanwalt wirft ihnen vor, eine terroristische Vereinigung gebildet zu haben, die mutmaßlich den Umsturz des politischen Systems in Deutschland vorbereiten wollte. Ziel der Gruppe sei eine „gewaltsame Beseitigung“ der Bundesregierung gewesen und die Errichtung einer „neuen staatlichen Ordnung“.
Einige Tage nach der bundesweiten Großrazzia zeichnen sich die Konturen des mutmaßlichen Plans für einen Reichsbürger-Staatsstreich zunehmend klarer ab. Seit einem Jahr schmiedet die Gruppe Umsturz-Pläne für „Tag X“. Nach dem Vorbild der US-amerikanischen Putschisten vom 6. Januar 2021 sollten Mitglieder der Terror-Gruppe in den Bundestag einzudringen, Abgeordnete und Regierungsmitglieder gefangen nehmen. Die Aktion sollte zu Unruhen im ganzen Land führen und schließlich zum Putsch gegen die parlamentarische Demokratie. Der „militärische Arm“ der Vereinigung sollte die staatliche Ordnung auch auf Ebene der Gemeinden, Kreise und Kommunen „beseitigen“.
Das rechtsterroristische Netzwerk stützt sich auf das Milieu der Reichsbürger, QAnon-Anhänger*innen und Corona-Leugner*innen, das auf mehrere Zehntausend Personen geschätzt wird. Es umfasst Mitglieder der AfD und anderer rechtsextremer Parteien und reicht tief in den staatlichen Sicherheitsapparat und alle gesellschaftlichen Eliten hinein. Der Inlandsgeheimdienst ordnet allein den Reichsbürgern 23.000 Personen zu. Die ideologische Klammer zwischen den diversen Gruppierungen ist ein Konglomerat aus Verschwörungsmythen, bestehend aus Narrativen der Reichsbürger-Szene sowie der QAnon-Ideologie. Sie sind der festen Überzeugung, dass Deutschland derzeit von Angehörigen eines „Tiefen Staates“ regiert werde. Das rechte Netzwerk, das sich um Prinz Heinrich Reuß gebildet, ist eine „unheilvolle Melange“.
Das Reichsbürger-Netzwerk plante eine militärische Schattentruppe, intern „Neue Deutsche Armee“. In Baden-Württemberg, Thüringen und Sachsen war bereits mit der Bildung von „Heimatschutzkompanien“ begonnen worden, insgesamt sollten 286 dieser Kompanien aufgebaut werden. Noch im Oktober soll der „militärische Arm“ Bundeswehrkasernen in Hessen, Baden-Württemberg und Bayern ausgekundschaftet haben, um zu prüfen, ob dort nach einem Umsturz „Truppen“ untergebracht werden könnten.
Die rechtsterroristische Gruppe hat zahlreiche frühere Soldaten rekrutiert. Da ist zum Beispiel Rüdiger von Pescatore, der den „militärischen Arm“ der Gruppe angeführt haben soll. Er war Mitte der 1990er Jahre Kommandeur eines Fallschirmjägerbataillons der Luftlandebrigade 25, einer Vorgängerin des Kommandos Spezialkräfte (KSK). Wieder einmal erweist sich das KSK in Calw als Kristallisationsort für rechtsterroristische Bestrebungen. (3) Dazu gehört auch der ehemalige Bundeswehr-Oberst Maximilian E., der als Kommandeur ein Panzergrenadierbataillon in den Kosovo-Einsatz führte und der Stabsfeldwebel beim KSK, Andreas M., der als Logistiker dient.
Die Reichsbürgerszene kennzeichnet von jeher große Gewaltbereitschaft. So verwundert es nicht, dass die Polizei bei den Razzien ein erhebliches Waffenarsenal gefunden hat: Neun-Millimeter-Pistolen, Schwerter, Messer, Elektroschocker, Gefechtshelme, Nachtsichtgeräte und die Dienstwaffen einer Polizistin und eines Polizisten, die zu den Verdächtigen gehören. Durch die jüngsten Razzien wurde erneut schlaglichtartig erhellt: Im Untergrund unserer Gesellschaft hat sich ein bewaffneter und zur Gewaltanwendung bereiter Bodensatz gebildet, der nur auf ein Signal zum Losschlagen wartet. Zum Glück konnte das diesmal verhindert werden.
Trotz dem Untergang des letzten Deutschen Reiches versuchen rechtsextreme Parteien, Gruppierungen und Einzelpersonen, dieses wiederherzustellen. Zu ihren Narrativen gehört, die BRD sei ein „Besatzungskonstrukt“. (4) Diese werden durch einen Gebietsrevisionismus ergänzt, das heißt die Forderung nach einem Deutschland in historischen Grenzen mit Gebieten, die in Verträgen an andere Staaten abgetreten worden sind. Auch die Reichsbürger streiten die Existenz Deutschlands als souveräner Staat ab. Sie glauben an das Fortbestehen eines „Deutschen Reiches“ – in je nach Auffassung unterschiedlichen Grenzen und mit verschiedenen Verfassungen. Deutschland befinde sich, so eine ihrer Botschaften noch immer im Kriegszustand mit den Alliierten – je nach Anschauung seitdem (von Deutschland verursachten) Ersten oder Zweiten Weltkrieg. Daher rufen sie eigene Reiche auf Basis derjenigen Verfassung aus, die sie jeweils für legitim halten – sei sie aus der Zeit des Nationalsozialismus, der früheren Weimarer Republik oder des Kaiserreichs.
Verbindendes Element der Reichsbürger ist „die fundamentale Ablehnung der Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland sowie deren bestehender Rechtsordnung“. Sie negieren demokratische und rechtsstaatliche Strukturen wie Parlament, Gesetze oder Gerichte. Steuern, Sozialabgaben oder Bußgelder zahlen sie nicht und drucken eigene Ausweise.
Die Sicherheitsbehörden haben die Reichsbürgerbewegung wie alle rechtsterroristischen Gruppierungen wie beispielsweise die mordende NSU jahrzehntelang verharmlost. Erst als ein Reichsbürger 2016 im bayrischen Georgensgmünd einen Polizisten erschoss, änderte sich der Kurs. Der Inlandsgeheimdienst nahm das Milieu nun genauer unter Beobachtung. Zurecht. Denn sie sind keine harmlosen Spinner, auch wenn dies derzeit aus Kreisen der rechtsextremen AfD suggeriert wird.
AfD-Abgeordnete stellen die „Reichsbürger“-Razzia als „billige Inszenierung“ und „Lügengeschichte“ dar. Thüringens rechtsradikaler AfD-Chef Björn Höcke hat ein neues Facebook-Titelbild hochgeladen, auf dem er mit nachdenklicher Miene nach oben schaut – zu dem Satz: „Putscht eigentlich eine Regierung, die einen Putsch inszeniert?“ Und die AfD-Partei und Fraktionschefin Alice Weidel versucht die rechtsextreme Verschwörung ins Lächerliche zu ziehen und spricht von einem „angestrebten Rollator-Putsch“.
Es sind vor allem solche Reaktionen einflussreicher AfD-Politiker*innen, die aufhorchen lassen, die davon ablenken sollen, dass die AfD sich zu einem Sammelbecken für Rechtsradikale und Verschwörungstheoretiker entwickelt hat. Es war und ist AfD, der parlamentarische Arm der Rechten, die mit ihrem Trommelfeuer des Hasses diese Stimmung entscheidend mitgeprägt hat. Die die Menschen gegen Flüchtlinge, Migrant*innen und politische Gegner*innen aufgeputscht hat, auch wenn ihre politischen Repräsentant*innen jegliche Verantwortung für rechtsextreme Hassverbrechen ablehnen und wie aktuell bei der Verschwörung der Reichsbürger ihre Hände in Unschuld waschen.
Autor: Otto König
Anmerkungen
(1) Das Haus Reuß war bis zur Novemberrevolution 1918 die regierende Dynastie in zwei kleinen Fürstentümern auf dem Gebiet des heutigen Landes Thüringen.
(2) Die Berliner Senatsverwaltung für Justiz versuchte, die Richterin aus dem Dienst zu entfernen. Das Dienstgericht sah trotz ihrer AfD-Mitgliedschaft, dokumentierter Kontakte zum offiziell aufgelösten, rechtsextremen Flügel der AfD sowie ihrer Beteiligung an einer Querdenkerdemo im August 2020 in Berlin, die zur Erstürmung der Treppen des Reichstages geführt hatte, keinen Anlass sie aus dem Dienst zu entfernen. Malsack-Winkemann hebe keine „Nähe von Parteimitgliedern gesucht, die rechtsextremistische Ansichten vertreten“. Ebenso sei eine „Nähe zu verschwörungstheoretischen Kreisen mit rechtsextremen Hintergrund“ nicht nachzuweisen, so das Gericht.
(3) Otto König/Richard Detje: KSK – Elitetruppe mit Rechtsdrall »Brauner Hotspot«, Sozialismus.de Aktuell 15.7.2020
(4) Siehe auch: Amadeu Antonio Stiftung (Hrsg.): „REICHSBÜRGER“ und Souveränisten, 2018