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Rechtsradikale stoppen

Der Rechtsextremismus ist weiter auf dem Vormarsch. Für den Appell »Wehret den Anfängen« ist es längst zu spät, stellt der Soziologe Wilhelm Heitmeyer fest. Angriffe auf die offene Gesellschaft durch Rechtsradikale und damit verbunden die Gefährdung der Demokratie sind längst Realität. Im zurückliegenden Jahrzehnt hat Thilo Sarrazin mit seinen rassistischen »Das wird man doch noch sagen dürfen«-Thesen mit den Weg bereitet, der in die Strategie der Aufwertung menschenfeindlicher Ressentiments durch die AfD in einem Klima der Bedrohung gemündet ist.

Die Liste der Straftaten durch Rechtsextremisten wird immer länger: Täglich werden in Deutschland Menschen wegen ihrer Hautfarbe, Religion oder sexuellen Orientierung beleidigt und tätlich angegriffen. Kommunalpolitiker*innen werden mit Morddrohungen überzogen. Kaum eine Woche vergeht ohne Skandale rechtsradikaler Umtriebe in der Bundeswehr und der Polizei: In Mecklenburg-Vorpommern haben SEK-Beamte Munition für rechte Prepper abgezweigt, in Hessen sandten sich Polizisten Hakenkreuze per WhatsApp zu und bedrohten mutmaßlich die türkischstämmige Anwältin Seda Basay-Yildiz.

Durch die von der AfD betriebene Entgrenzung der Sprache wurde der Weg für die Entgrenzung der Gewalt geebnet: In Nordhessen hat der Neonazi Stephan E. oder – wie er nach Rückzug seines Geständnisses nun behauptet – ein Mittäter den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke erschossen, in Sachsen-Anhalt starben zwei Menschen nach dem Angriff des Rechtsextremisten Stephan B. auf eine vollbesetzte Synagoge in Halle.

Laut Bundesinnenministerium wurden im 1. Halbjahr 2019 insgesamt 12.493 Straftaten mit »politisch rechts motivierten Hintergrund« registriert. Darunter waren 542 Gewalttaten, mindestens 250 Menschen wurden verletzt. Es ist davon auszugehen, dass diese Zahlen noch steigen werden, denn erfahrungsgemäß melden die Polizeibehörden viele Straftaten nach, sodass die rechte Kriminalität 2019 ein ähnliches hohes Niveau erreichen wird wie im Jahr zuvor, wo 20.431 rechte Delikte festgestellt wurden (Tagesspiegel, 16.10.2019).

Das Spektrum der Akteure reicht von Neonazis und NPD über Hooligans, Rockbands in der rechten Musikszene und Pegida-Krakeeler*innen bis hin zu dem AfD-Einpeitscher Björn Höcke sowie den AfD-Vorsitzenden von Brandenburg, Andreas Kalbitz, und Sachsen, Jörg Urban. Der Versuch der neonazistischen Rechten, im Windschatten des gesellschaftlichen Rechtsrucks neue Anhänger zu rekrutieren, ist weder der NPD noch ihren beiden Konkurrenzparteien »Die Rechte« bzw. »Der III. Weg« gelungen.

Stattdessen ist zu beobachten, dass das Erstarken der AfD den offen faschistischen Parteien das Wasser abgegraben hat. So stürzte beispielsweise bei der Landtagswahl 2019 in Sachsen die NPD, die fünf Jahre zuvor noch 4,9% der Wählerstimmen auf sich vereint hatte, auf 0,6% ab. Die AfD sammelte jene ein, die schon immer völkisch eingestellt waren, hier liegt der gemeinsame Nenner.

Inzwischen ist die AfD, viel zu lange als »rechtspopulistisch« verharmlost, in sämtliche Landesparlamente und in den Bundestag eingezogen. Seit der Bundestagswahl im Herbst 2017 ist die Partei des »Autoritären Nationalradikalismus« (Wilhelm Heitmeyer) mit 90 Abgeordneten im Berliner Bundestag vertreten. Ihre Funktion ist, Parlament und andere Organe der institutionellen Demokratie zu diskreditieren. Die Journalistin Miriam Lau schreibt in Die Zeit (2/2020): Unter den Bundestagsabgeordneten kursiert seit einiger Zeit ein Zitat von Joseph Goebbels aus dem Jahr 1928. Damals hatte der NSDAP-Politiker gesagt: »Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen (…) Wenn die Demokratie so dumm ist, uns für diesen Bärendienst Freifahrkarten und Diäten zu geben, so ist das ihre Sache. Wir kommen nicht als Freunde, auch nicht als Neutrale. Wir kommen als Feinde! Wie der Wolf in die Schafherde einbricht, so kommen wir.«

Der Bielefelder Soziologe Heitmeyer unterscheidet in einem Gastbeitrag für Spiegel online (24.08.2019) drei Varianten im rechten politischen Spektrum: erstens die Kategorie des Rechtspopulismus, zweitens alle jene Varianten, die als Autoritärer Nationalradikalismus bezeichnet werden können; und drittens der gewalttätige Rechtsextremismus , einschließlich neonazistischer Versionen.

Für Heitmeyer steht die AfD für einen »Autoritären Nationalradikalismus«: Autoritär, weil sie Gesellschaftsvorstellungen vertritt, die eine auf Homogenität ausgerichtete Volksgemeinschaft und entsprechenden Ausgrenzungen sowie einem auf Hierarchien basierenden Kontrollparadigma beinhalte. National im Sinne von nationalistisch, in dem die Überlegenheit des deutschen Volkes herausgestellt wird in Kombination mit der Ideologie der Ungleichwertigkeit der Anderen. Und radikal im Hinblick auf die strategischen Grenzüberschreitungen zur Verletzung psychischer und physischer Unversehrtheit von Andersdenkenden und Menschen anderer Herkunft im Sinne gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.

Dieser Charakterisierung folgt der Radikalisierung der Neuen Rechten in ihren politischen Ausdrucksformen. Scharfe Kritik, Widerstand und eindeutige Abgrenzung sollten seitens der demokratischen Kräfte selbstverständlich sein. Allerdings gibt es große Graubereiche, in denen Establishment-Kritik und auch rassistische Auffassungen anzutreffen sind, ohne dass es sich bereits um eindeutig verfestigte menschenfeindliche Vorurteile und ideologisch verdichtete Auffassungen handelt. Für Gewerkschaften liegen hier vor allem die Herausforderungen, wenn es darum geht, in den Betrieben ein weiteres Abdriften nach rechts zu verhindern.  

Gauland, Meuthen und Co. verstecken ihre Ideologie des modernen Rassismus gerne hinter einem bürgerlich-konservativen Anstrich, um unter diesem Deckmantel die Verschwörungstheorie von der »Umvolkung« zu verbreiten. Ein Begriff aus der nationalistisch-rassistischen Mottenkiste, der nur durch die »Jungen Alternativen« (JA) und den rechten »Flügel«-Kreis, repräsentiert u.a. durch den Thüringer AfD-Vorsitzenden Björn Höcke, (1) Einzug in den politischen Sprachgebrauch erfahren hat. Auch der auf dem Parteitag im November 2019 in Braunschweig zum Gauland-Nachfolger gewählte sächsische Bundestagsabgeordnete Tino Chrupalla ist der Auffassung, dass man in Deutschland von »Umvolkung« reden müsse.

Ein wichtiges Signal ist es, wenn nun das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Landesämter die Mitglieder der AfD-Vereinigungen »Der Flügel« und »Junge Alternative« nicht mehr nur als Verdachtsfall behandeln, sondern als rechtsextrem einstufen. Laut Behördenangaben betrifft das beim »Flügel« rund 7000 und bei der »JA« mehr als 1000 AfD-Mitglieder. Doch die vollzogene Einstufung kann nur der Anfang sein, weitere staatliche Maßnahmen müssen folgen. Denn wie rechtsradikal die Gesinnung der AfD-Wähler*innen ist, belegt eine Umfrage des Forsa-Institutes.(2)

Dabei zeigt ein Vergleich mit Forsa-Untersuchungen aus den Jahren 1994 und 2000, dass sich deren Einstellungen kaum von denen früherer rechtsradikaler Parteien wie NPD, DVU oder Republikaner unterscheiden:

  • Nur eine Minderheit von 21% der Wahlberechtigten, die keine Präferenzen für die AfD hegen, meint, dass rechtsradikale Gruppen in dem einen oder anderen Punkt mit ihrer Meinung durchaus recht hätten. Unter AfD-Anhängern ist die übergroße Mehrheit (75%) davon überzeugt.
  • Nur eine Minderheit der AfD-Anhänger glaubt heute wie auch schon die Anhänger früherer rechtsradikaler Parteien, dass rechtsextreme Gewalttaten in Deutschland in den letzten Jahren zugenommen hätten. Von den Wahlberechtigten ohne AfD-Präferenz glaubt das die große Mehrheit (77%).
  • Dass rechtsextreme Tendenzen in Deutschland eine ernsthafte Gefahr für das demokratische System sind, glauben 63% der Wahlberechtigten ohne AfD-Präferenz, aber nur 20% der AfD-Anhänger.
  • Dass Deutschland durch zu viele Flüchtlinge und Migranten in einem gefährlichen Maße »überfremdet« ist, glaubt nur eine Minderheit von 24% der Wahlberechtigten ohne AfD-Präferenz, aber eine große Mehrheit der AfD-Anhänger (86%).
  • Über 80% der AfD-Anhänger sind der Meinung, dass es an der Zeit ist, einen Schlussstrich unter den Nationalsozialismus und das Dritte Reich zu ziehen. Von den Wahlberechtigten ohne AfD-Präferenz glauben das 2019 rund 42%.
  • Dass Deutschland wieder einen »Führer« brauche, meinten 1994 15% der Wahlberechtigten ohne Präferenz für eine rechtsradikale Partei. 2019 ist dieser Anteil auf 7% gesunken. Von den AfD-Anhängern wünschen sich das immer noch 42%.
  • An die »Auschwitz-Lüge«, also daran, dass es Propaganda der Siegermächte sei, dass die Nazis Millionen von Menschen umgebracht haben, glauben heute wie schon 1994 nur ganz wenige der Wahlberechtigten ohne AfD-Präferenzen (2 bzw. 3%). Achtmal mehr AfD-Anhänger (15%) glauben jedoch heute noch, es handele sich bei den Morden der Nazis um Propaganda-Märchen der Alliierten. Das heißt die allermeisten Holocaust-Leugner stehen der AfD nahe.

Die rechtsextreme Einstufung der AfD-Vereinigungen »Der Flügel« und »Junge Alternative« durch den Inlandsgeheimdienst, scheint daraufhin zu deuten, dass beim Verfassungsschutz langsam andere Zeiten anbrechen. Ob dies nachhaltig ist, wird sich erst zeigen müssen, dazu waren die »Schlapphüte« zu lange auf dem rechten Auge blind. Rechtsextremisten wie die NSU-Terroristen, die eine rechte Blutspur durchs Land gezogen haben, durften sich ermutigt fühlen, weil sie keinem Verfolgungsdruck ausgesetzt waren. Inzwischen sprechen selbst die Sicherheitsbehörden nicht mehr nur von »einsamen Wölfen«, sondern von »rechten Netzwerken«.

Medienberichten zu Folge soll sich Bundesinnenminister Horst Seehofer, der während der pogromartigen Ausschreitungen im August 2018 in Chemnitz eine unrühmliche Rolle gespielt hat, dazu durchgerungen haben, den Kampf gegen die rechten Seilschaften und Netzwerke im Staatsapparat aufzunehmen. Seehofer dringt auf den raschen Aufbau der geplanten »Zentralstelle zur Aufklärung rechtsextremistischer Umtriebe im öffentlichen Dienst« beim Verfassungsschutz. Es soll ein »Lagebild Rechtsextremismus« für den gesamten Öffentlichen Dienst in Deutschland erstellt werden, in dem immerhin rund 4,7 Millionen Menschen arbeiten. Dazu gehört auch die Bundeswehr, die mit dem mutmaßlich rechtsextremistischen Netzwerk um den Soldaten Franco A. 2017 für Schlagzeilen gesorgt hat.

Dennoch: Die politisch Verantwortlichen dürfen nicht aus ihrer Mitverantwortung an dem gesellschaftlichen Klima, in dem Fremdenfeindlichkeit bedient und der eigene Vorteil über die Empathie für Benachteiligte gestellt wird, entlassen werden. Die krampfhaften Bemühungen, der AfD ihren Anhang durch Anleihen aus deren menschenverachtender Programmatik streitig zu machen, müssen aufhören. Law-and-Order, schärfere Asylgesetze, mehr Spielraum für die Polizei, diese Strategie der Konservativen ist nicht zielführend. Schließlich hat sich gerade in der Migrationspolitik gezeigt, dass die sogenannten »besorgten Wutbürger« dem Original den Vorzug geben. Aufgabe der Politik ist es deshalb, Initiativen im Rahmen des Bundesprogramms »Demokratie leben« zu unterstützen, damit sie nicht Jahr für Jahr um Finanzhilfen für ihre Präventionsprojekte betteln müssen.

Aufgabe der Gewerkschaften ist es, die neue Rechte im Bündnis mit anderen demokratischen Kräften der Zivilgesellschaft zu bekämpfen. Schließlich gehört der Antifaschismus »zur Gründungsurkunde der Gewerkschaften. Ihn aufzuweichen, würde sie zerreißen.« (Klaus Dörre) In diese Tradition reiht sich der Beschluss der Delegierten der IG Metall auf dem Gewerkschaftstag im Oktober 2019 in Nürnberg ein: »Die IG Metall stellt völkisch-nationalistischer, rassistischer oder sexistischer Programmatik keine (Diskussions-) Räume zur Verfügung. Der Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung ist und bleibt eine zentrale Aufgabe für alle Metaller*innen.«

Den Rechten der AfD und ihrer autoritären Ideologie darf weder in der Gesellschaft noch im Betrieb das Feld überlassen werden. So empfiehlt das geschäftsführende Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban im Umgang mit AfD-Mitgliedern eine Politik der »klaren Kante und offenen Tür«. »Die Bildungsstätten werden beauftragt, Argumente z.B. in Form von Bildungsbausteinen bereitzustellen gegen die sozialpolitischen Scheinlösungen und zur Unterstützung für die Diskussionen im Betrieb und mit den Mitgliedern«, heißt es in dem von den Gewerkschaftstags-Delegierten beschlossenen Antrag der IG Metall Geschäftsstelle Wolfsburg.

Hinzukommen muss die Verstärkung des Kampfes, um die ökonomischen und sozialen Rechte der abhängig Beschäftigten. Und: Gegen Rassismus und Faschismus zu demonstrieren und die AfD wo immer möglich in die Schranken zu weisen, bleibt das Gebot der Stunde.

Artikel von Otto König, ehemaliger 1. Bevollmächtigter der IG Metall (Hattingen) und Richard Detje, Redakteur der Zeitschrift Sozialismus (Hamburg)

Anmerkungen
(1)Das Verwaltungsgericht Meiningen in Thüringen hat das Verbot der Bezeichnung »Faschist« für Björn Höcke aufgehoben, weil die Antragstellerin »in ausreichendem Umfang glaubhaft« gemacht habe, »dass ihr Werturteil nicht aus der Luft gegriffen ist, sondern auf einer überprüfbaren Tatsachengrundlage beruht«. Das Urteil sei mit Zitatstellen aus einem Buch Höckes und Presseberichten »ausreichend belegt«. In dem Buch »Nie zweimal in denselben Fluss« vertrete der AfD-Politiker »eine faschistische Agenda«. Die Rede sei dort von einem neuen Führer und dem angeblichen »Volkstod durch den Bevölkerungsaustausch«. Höcke trete für eine »Reinigung« Deutschlands von politischen Gegnern auf und relativiere den Hitler-Faschismus (Berliner Zeitung 28.09.2019).
(2) Die Demoskopen des Meinungsforschungsinstituts Forsa befragten vor dem AfD-Parteitag in Braunschweig insgesamt 2501 Wahlberechtigte (NTV, 29.11.2019). 
(3) Rund 600 neue Stellen sollen je zur Hälfte die Reihen des Bundeskriminalamtes (BKA) und des Inlandsgeheimdienstes verstärken sollen. Hinzu kommen weitere 500 zusätzliche Stellen beim BKA, die sich ausschließlich der »Bekämpfung des Rechtsextremismus« widmen sollen.                                         

Foto: „Nie wieder“ Foto: AFP

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