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„Rente mit 70 grober Unfug“

Neoliberale Ökonomen und Arbeitgeber fordern höheres Renteneintrittsalter

Wenn Rentenkürzungen durchgesetzt werden sollen, ist für deren Befürworter*innen keine Begründung zu dreist.

Im vergangenen Jahr hatte der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsminister eine Anhebung auf 68 Jahre vorgeschlagen, als Begründung musste neben dem oft wiederholten und dennoch falschen Argument des demographischen Wandels die Corona-Pandemie herhalten. Um ihren geplanten Rentenklau zu begründen, verbreiten Arbeitgeberverbände seit längerem das Argument, „aufgrund einer höheren Lebenserwartung müsse auch länger gearbeitet werden“. Wohlwissend, dass diese Argumentation damals so falsch war wie heute. Nicht die Demographie, also das Verhältnis zwischen Einzahler*innen in die Rentenkasse und Rentner*innen, sondern die Produktivität einer Volkswirtschaft ist der entscheidende Faktor für das Rentenniveau.

Aktuell bringen nun neoliberale Ökonomen wie der Leipziger Wirtschaftswissenschaftler Gunther Schnabl die hohe Inflation, als vermeintlichen Sachzwang ins Spiel. Der demografische Wandel führe dazu, dass es weniger Arbeitskräfte gebe. So verschärfte sich der Wettbewerb um Fachkräfte und damit stiegen die Gehälter, was wiederum die Inflation anheize. Die Schlussfolgerung von Schnabl und seinen Kumpanen lautet daher: Ein höheres Renteneintrittsalter führt zu mehr Arbeitskräften – und tritt damit der Inflation entgegen. Sie erklären Rentner*innen zu Inflationstreibern und volkswirtschaftlichen Risikofaktoren und fordern: „Das Renteneintrittsalter muss auf 70 Jahre  steigen.“ Diese Forderung ist ein alter Hut mit neuer Begründung und „grober Unfug“.

Dass ein höheres Renteneintrittsalter in der Konsequenz mehr Arbeitslose bedeutet, wird von diesen sogenannten Wirtschaftswissenschaftlern ebenso verschwiegen wie der Fakt, dass schon bei den aktuell geltenden Regelungen jeder Siebte früher aus dem Erwerbsleben ausscheidet. Die Gründe hierfür sind Krankheit, das Fehlen altersgerechter Arbeitsplätze und krankmachende Arbeitsbedingungen. Wer so etwas vorschlägt, arbeitet nicht in dreifacher Schicht im Metallbetrieb, in Kontischicht im Stahlwerk, auf dem Bau und nicht in der Pflege. Beschäftigte in physisch und psychisch anstrengenden Berufen würden sich vielfach gern vor ihrem offiziellen Renteneintrittsalter mit 65 bis 67 Jahren zur Ruhe setzen. Nicht aus Faulheit, sondern weil sie nicht mehr können. Um dies nachzuvollziehen, braucht es kein Ökonomiestudium, es genügt der gesunde Menschenverstand.

Die These, dass die Anhebung des Rentenalters ein wirksames Mittel zur Bekämpfung der Inflation und des Fachkräftemangels sei, fußt nicht auf ernstzunehmender Wissenschaft, sondern auf neoliberaler Ideologie. Sie stammt aus der Giftküche der „Initiative neue soziale Marktwirtschaft“, der Propagandatruppe vom Metallarbeitgeberverband Gesamtmetall. Für den  wissenschaftlichen Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, Sebastian Dullien, steht fest:  „Die Inflation ist derzeit von hohen Energiepreisen und hohen Lebensmittelpreisen getrieben, nicht von einem übermäßigen Lohndruck“.  Und gegen die hohen Energie- und Nahrungsmittelpreise helfe eine Verlängerung des Renteneintrittsalters nichts. Ein Mangel an Arbeitskräften sei weder in Deutschland noch bei den wichtigsten Ländern, aus denen die Bundesrepublik Importe beziehe, derzeit ein relevanter Inflationsfaktor.

Für den DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften ist klar: Hier geht es nicht um Inflationsbekämpfung, sondern um eine weitere Leistungskürzung auf dem Rücken der Beschäftigten. Das geschäftsführende Vorstandsmitglied der IG Metall Hans-Jürgen Urban spricht zu Recht von einer „abstrusen Forderung“: Ein Großteil der Beschäftigten erreiche schon heute das Rentenalter nicht. „Das Ausscheiden vor der Regelaltersgrenze bedeutet Abschläge bei der Rente. Eine weitere Anhebung der Altersgrenze verschärft dieses Problem und löst weder die Fachkräftefrage noch mildert es die Inflation“, betont Urban.

Die aktuelle Debatte auf die einfache Formel gebracht, heißt: Wer in der Rentenpolitik von Demographie spricht, meint eigentlich Sozialabbau. Die Alternative hierzu ist, die gesetzliche Rente durch gute Arbeitsbedingungen und höhere Löhne zu stärken. Der Niedriglohnsektor muss ausgetrocknet, sachgrundlose Befristungen müssen abgeschafft und die betriebliche Mitbestimmung der Betriebsräte  gestärkt werden. Es gilt gemeinsam die Tarifflucht zu verhindern und die Tarifbindung zu stärken, denn gute Löhne bedeuten ein Plus bei den Einnahmen der Rentenversicherung, und sie stärken die Kaufkraft der Beschäftigten.

Kommentar: Otto König

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