Nur wenige Wochen sind vergangen, seit die WählerInnen ihre Stimmzettel in der Wahlurne versenkt haben. Viele der Abstimmenden waren angesichts des Ergebnisses der Bundestagswahlen bass erstaunt: So haben sie das ja nicht gewollt haben. Und jetzt sind sie zum Zuschauen verurteilt wie Teilnehmer der Sondierungsrunde der angestrebten „Jamaikakoalition“ (CDU/CSU/FDP/ Die Grünen) die „sozialpolitische Abrissbirne“ schwingen. CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn will die „Rente mit 63“ abräumen. Für seine „sozialpolitische Provokation“ erntet er prompt Beifall aus den Reihen des Wirtschaftsrates der CDU, dem arbeitgebernahen Lager und von Seiten wirtschaftsfreundlicher Journalisten.
So fordert auch der Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, Michael Hüther, die Rente mit 63 „rückabzuwickeln“. „Die Frühverrentung ohne Abzüge ist nicht nur teuer. Sie verschärft den Fachkräftemangel. Sie konterkariert das Ziel, Ältere länger im Arbeitsleben zu halten“, leistet der Journalist Frank Specht im Handelsblatt mediale Schützenhilfe.
Spahn, der „rentenpolitischen Rambo“, der schon mit seinem Plädoyer für eine „Rente ab 70“ soziale Kälte gegenüber den arbeitenden Menschen spüren ließ, ist sich nicht zu schade die Rente ab 45 Beitragsjahren gegen die Erwerbsminderungsrente und die Witwenrente auszuspielen. Die neue Regierung solle „diese Frühverrentung auslaufen lassen und mit den eingesparten Milliarden lieber die Renten von Witwen oder Erwerbsgeminderten stärken“, sagte der CDU-Politiker in einem Interview mit der Rheinischen Post.
Man muss an dieser Stelle kurz innehalten und sich die gesetzlichen Anforderungen an den Bezug der „Rente mit 63“ – korrekt der „Altersrente für besonders langjährig Versicherte“, die im § 236 b Sozialgesetzbuch VI geregelt ist – vor Augen führen: Die Betroffenen müssen „mindestens 45 Jahre mit Pflichtbeiträgen“ vorweisen können, um seit Juli 2014 ab 63 Jahren ohne Abschlag in Rente gehen zu können.
Das „Jupp-Heynckes-Konzept“ nutzt Beschäftigten nichts
Nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung Bund haben bis Ende August 160.000 Versicherte einen Antrag auf abschlagsfreie Rente mit 63 gestellt. Im Vorjahreszeitraum waren es noch 165.000. Allerdings wird diese Altersgrenze seit Juli 2014 pro Jahr um zwei Monate angehoben, so dass die Jahrgänge ab 1964 erst mit 65 nach 45 Jahren abschlagsfrei in Renten gehen können. Wenn man sich diese Zugangsvoraussetzung anschaut, dann wird klar, welche Zumutungen der bisherige parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium auf dem gerade für die ArbeitnehmerInnen wichtigen Feld der Rentenpolitik abgesondert hat.
Vor allem vor dem Hintergrund folgender Fakten: Jens Spahn wird nie in die Verlegenheit kommen „45 Jahre mit Pflichtbeiträgen“ nachweisen zu müssen, um in Rente gehen zu können. Von 2002 bis 2017 durchgängig in den Bundestag gewählt hatte er schon nach zwei Legislaturperioden (acht Jahre) im Parlament eine Mindestpension von knapp 1.700 Euro sicher, ohne je einen Cent selbst als Vorsorge geleistet zu haben. Ein Abgeordneter, der 1960 geboren ist – Spahn ist 1980 geboren – und 18 Jahre im Parlament gesessen, könnte heute mit 56 Jahren und einer Pension von 4087 Euro in den vorzeitigen Ruhestand gehen. Natürlich bekommt er als parlamentarischer Staatssekretär noch einen Schnaps oben drauf.
Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, wies zurecht die Forderung des CDU-Rechtsauslegers zurück: „Das Jupp-Heynckes-Konzept geht für die Mehrheit der Beschäftigten nicht auf. An einen Job mit über 70 ist für Elektriker, Schlosser und Fahrzeugbauer nicht zu denken. Im Gegenteil: Sie schaffen es oft nicht bis zur Regelaltersgrenze. Ihnen die Rente ab 63 zu nehmen, bedeutet nichts anderes als Rentenkürzung.“ Wer die Rente ab 45 Beitragsjahren zurückdrehen will, ignoriere schlicht die Lebenswirklichkeit vieler Menschen. Schon heute erreichten viele den regulären Rentenbeginn nicht.
IG Metall-Rentenkampagne fortsetzen
Es werden nicht weniger Möglichkeiten für Beschäftigte gebraucht, vor dem 67. Lebensjahr abschlagsfrei in Rente gehen zu können, sondern mehr. Ein Grund mehr dafür, dass die IG Metall ihre vor der Wahl gestartete Kampagne für ein „Alterssicherungskonzept mit auskömmlichen Renten“ jetzt erst recht fortsetzt. Die Stabilisierung und mittelfristige Anhebung des Rentenniveaus, um die Altersarmut zu verhindern, ist notwendiger denn je. Übrigens eine gute Voraussetzung dafür, um aus der passiven Zuschauerrolle auszubrechen, und sich aktiv für die Interessen der ArbeitnehmerInnen einzusetzen.
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