Arbeitswelt

Ringen um ein Konjunkturprogramm

IG Metall: „Klotzen statt kleckern“.

Die Corona-Pandemie hat die Wirtschaft im Griff: Viele Betriebe verlieren Tag für Tag Liquidität, bei kleineren und mittleren Unternehmen drohen Insolvenzen. Deutschland droht wegen der Coronavirus-Pandemie 2020 die schwerste Rezession der Nachkriegszeit. Laut dem Münchner Ifo-Institut ist im Mai die Zahl der Kurzarbeiter*innen auf 7,3 Millionen gestiegen. (Ursprünglich wurden von den Unternehmen sogar 10,1 Millionen Beschäftigte angemeldet) Es fehlen Umsätze aus vielen Auslandsmärkten wie Frankreich, Italien, Spanien, USA und China. Hinzu kommt die Konsumflaute. Die abhängig Beschäftigten haben aktuell deutlich weniger Geld als vor der Corona-Krise im Geldbeutel und zugleich Angst um ihren Arbeitsplatz und ihre finanzielle Zukunft.

Deshalb ist jetzt eine zielgenaue Konjunkturpolitik mit möglichst großem Hebel notwendig. Bei einem Treffen im Kanzleramt wollen die Spitzen der CDU/CSU und SPD in dieser Woche ein milliardenschweres Programm beschließen, das die Konjunktur ankurbeln soll. „Über die bisherigen Stützungsmaßnahmen hinaus gilt es jetzt, einen starken, kurzfristig wirksamen Nachfrageimpuls zu setzen, um die Wirtschaft anzukurbeln“, sagte Clarissa Bader, Erste Bevollmächtigte der IG Metall GS Ennepe-Ruhr-Wupper.

Neben einem Familienbonus wird unter anderem auch über Steuerentlastungen für Unternehmen, eine Kaufprämie für Autos, Investitionen in die Infrastruktur – Brücken, Straßen, Bahnstrecken, Netze, Entlastungen für die Kommunen und Mehrausgaben für die Forschung und Steuersenkungen diskutiert. Quer durch die Parteien geht der Streit beim Thema Autokaufprämie. Kein Wunder: Geht es doch um Unternehmen, die den Staat und ihre Kunden in großem Stil betrogen haben. Um abgehobene Manager, die mit den Abgastricksereien den Interessen der Konzerne nachhaltig geschadet und den technischen Wandel hin zu E-Mobilität verschlafen haben.

Der gegenwärtige Konjunktureinbruch ist tiefer als in der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09. Die IG Metall schlägt deshalb ein Konjunkturpaket vor, das ein Volumen von mindestens 3 Prozent der Wirtschaftsleistung umfassen soll. Das sind weit mehr als 100 Milliarden Euro. „Für eine schnelle und wirksame Steigerung der Nachfrage ist es jetzt sinnvoll, zu klotzen, statt zu kleckern, bevor sich die Rezession noch tiefer in unsere Wirtschaft frisst und die Arbeitslosigkeit stark zunimmt“, sagte der IG Metall-Vorsitzende Hofmann in Frankfurt

Damit die Konsumnachfrage den konjunkturellen Hochlauf der Wirtschaft tragen kann, fordert die IG Metall in ihren Vorschlägen „Für ein Konjunkturpaket in der sozial-ökologischen Transformation“ folgende weitere Maßnahmen:

  • Die Entgeltfortzahlung für Eltern, die ihre Kinder derzeit zu Hause betreuen müssen, muss solange gesichert sein, wie Krippen, Kitas und Schulen nicht flächendeckend und nicht für alle Kinder wieder geöffnet sind. Parallel dazu ist es geboten, intensiv an Szenarien von Betreuungsmöglichkeiten zu arbeiten – soweit das Infektionsgeschehen diese zulässt.
  • Ein Kinderbonus in Höhe von mind. 300 Euro pro Kind kann Familien wirksam in der Krise unterstützen. Der Bonus sollte als Zuschlag auf das Kindergeld konzipiert und mit der Entlastungswirkung des Kinderfreibetrags verrechnet werden. So würden insbesondere Familien mit geringen Einkommen spürbar profitieren.
  • Die Lohnansprüche von Beschäftigten müssen in der Krise gesichert sein. Da temporär eine Sperre für Gläubigerinsolvenzanträge greift, müssen Lohnrückstände von Beschäftigten durch eine neue Lohnersatzleistung, ein „Krisengeld“, wertgleich ersetzt werden.

Auch der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, plädiert für einen breiten Nachfrageimpuls, der durch das Konjunkturprogramm der Regierung ausgelöst werden müsse. „Es ist eine meiner Sorgen, dass in dem geplanten Konjunkturpaket der Regierung zu sehr die Unternehmen im Vordergrund stehen und nicht genug die Konsumentinnen und Konsumenten, die Beschäftigten“, so Fratzscher. Es sei ein Irrglaube, anzunehmen, „die Krise sei jetzt vorüber und die Leute warteten nur darauf, das in den letzten Wochen gesparte Geld auszugeben“. Nach seiner Auffassung sind die Nachfrage, der Konsum, der Schlüssel, um die Wirtschaft wieder zu beleben. Deshalb sollten die arbeitenden Menschen, von einem Konjunkturprogramm profitieren und damit unterstützt werden.

Steuersenkungen, sei es die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags, ein Absenken der Mehrwertsteuer oder der Unternehmenssteuern, wie von den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft gefordert, sind indes kontraproduktiv. Steuern senken, den Staat also um Einnahmen bringen, gleichzeitig aber Milliarden vom Staat verlangen – das geht nicht zusammen. Laut aktuellen Schätzungen wird der Staat 81,5 Milliarden Euro weniger Steuern einnehmen als im vergangenen Jahr. Das entspricht einem Minus von mehr als zehn Prozent. Das heißt: Steuersenkungen würden insbesondere die öffentliche Investitionstätigkeit verlangsamen und hätten vergleichsweise geringe Effekte auf die private Nachfrage.

Zur Stärkung der privaten Investitionstätigkeit fordert die Gewerkschaft Sonderabschreibungen, etwa für Investitionen in energieeffiziente Technologien und Prozesse. Für die IG Metall eröffnet ein Konjunkturprogramm auch die Chance auf eine beschleunigte Mobilitätswende. Konjunkturpolitische Maßnahmen sollen einen sichtbaren Beitrag zur CO2-Minderung leisten. Dies betreffe alle Verkehrsträger auf der Straße und Schiene sowie in der Schifffahrt und Luftfahrt. Bereits beschlossene Zusagen zum Ausbau des Schienenverkehrs müssen realisiert werden. Alte, stark umweltbelastende Züge, Schiffe und Flugzeuge seien aus dem Markt zu nehmen.

Eine Umweltprämie, die den Erwerb von sauberen Neuwagen fördere, könne ein wichtiger Baustein sein, um die gesamtwirtschaftliche Nachfrage in Deutschland und Europa zu stimulieren. „Die Automobilindustrie ist eine Schlüsselindustrie in Deutschland. Wenn hier die Nachfrage einbricht, trifft das ganze Regionen und weitere Branchen – vom Werkzeugmaschinenbau bis zur Stahlindustrie“, betont der IG Metall-Vorsitzende Jörg Hoffmann. Jeder vierte Euro industrieller Wertschöpfung in Deutschland hänge von der Automobilindustrie ab.

Eine solche Prämie müsse drei Bedingungen erfüllen: Erstens: Sie muss zu einer deutlichen Minderung von CO2-Emissionen beitragen. Zweitens: Die Prämie muss Beschäftigung stützen und zum Abbau von Kurzarbeit führen. Daher ist sie technologieoffen zu gestalten und sollte auch Fahrzeuge mit emissionsarmen Verbrennungsmotoren fördern, denn daran arbeiten 90 Prozent der Beschäftigten bei Herstellern und Zulieferern. Drittens: Es darf sie nur geben, wenn die Automobilhersteller ebenfalls einen Beitrag zur Finanzierung leisten.

Staatlich gesicherte Liquiditäts- und Eigenkapitalhilfen sind an die Zusage der Unternehmen zur Beschäftigungssicherung zu koppeln. „Wir akzeptieren nicht, wenn über Programme der Kostensenkung und des Personalabbaus die Beschäftigten Leidtragende der Krise werden, während die Unternehmen durch öffentliche Mittel gestützt werden“, erklärte der 2. Bevollmächtigte Mathias Hillbrandt. Die Inanspruchnahme öffentlicher Hilfen vertrage sich auch nicht mit der gleichzeitigen Auszahlung von Dividenden für Aktionäre und Bonuszahlungen für Vorstände

Namhafte Ökonomen wie u.a. Sebastian Dullien, Leiter des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), unterstützen die Vorschläge der

IG Metall. „Ohne weitere staatliche Impulse besteht die Gefahr, dass Wirtschaft und Gesellschaft dauerhaften Schaden erleiden werden«, schreiben die Wissenschaftler in ihrem Aufruf „Ein nachhaltiges Investitionsprogramm als tragende Säule einer gesamtwirtschaftlichen Stabilisierungspolitik“. Nicht nur die Automobilindustrie, die Wirtschaft insgesamt brauche einen starken staatlichen Impuls, um aus der tiefen Rezession zu kommen und auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zu gelangen.

Das Impulsprogramm sollte vornehmlich Investitionen umfassen, und diese Investitionen sollten auf die Bewältigung der Dekarbonisierung, des demographischen Wandels und der digitalen Transformation abzielen. Gefordert werden Investitionen in drei Bereichen: Erstens sollen private und öffentliche Investitionen mit einer starken Klimakomponente angekurbelt werden, beispielsweise durch eine »Abwrackprämie für Ölheizungen«, eine Förderung energetischer Gebäudesanierungen sowie einen Ausbau des schienengebundenen öffentlichen Nahverkehrs.

Zweitens sollen die Bildungsinvestitionen ausgebaut werden. In der Krise sei einmal mehr deutlich geworden, wie sehr familiäre Unterschiede dem gesellschaftlichen Ziel gleicher Chancen für alle entgegenstehen. Plädiert wird etwa für mehr Ganztagsbetreuung. Zuletzt wird vorgeschlagen, das Kurzarbeitergeld in Kombination mit beruflicher Weiterbildung und Umschulung zu erweitern – zu einem Transformations-Kurzarbeitergeld.

Fakt ist: Um Wirtschaft und Arbeitsmarkt zu stabilisieren, muss der Staat die Konjunktur stärken. Das Konjunkturpaket kann kurzfristig ohne Probleme über Kredite finanziert werden. Denn je besser es gelingt, Wirtschaft und Arbeitsmarkt zu stabilisieren, desto schneller kann der Staat aus den Schulden herauswachsen. Dies stabilisiert auf Dauer die Steuereinnahmen. Dennoch: Nach der Corona-Krise müssen Vermögende stärker an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligt werden. Spitzeneinkommen und Kapitalerträge, aber auch Erbschaften müssen stärker besteuert werden. Auch die Wiedereinführung der Vermögensteuer wäre ein wichtiger Beitrag, um den Zusammenhalt der Gesellschaft zu stärken.

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