AktuellesArtikelBetriebliches

„Sciopero“ – „Streik“ hat den Standort gerettet

Wer kämpft kann verlieren, wer nicht kämpft hat schon verloren. „Wir haben vor zehn Jahren bei der O&K Antriebstechnik den Kampf aufgenommen, haben gestreikt und gewonnen,“ sagte der Betriebsratsvorsitzende Gerd Starosta vor den Beschäftigten – unter ihnen die IG Metall Bevollmächtigte Clarissa Bader und der ehemalige Bevollmächtigte Otto König sowie Geschäftsführer Stefano Callegati. Dass das 10-jährige Jubiläum des Arbeitskampfes am neuen Standort in der Ruhrallee in Hattingen gefeiert werde könne, sei jenen Kolleginnen und Kollegen zu verdanken, die 2009 unterstützt von ihrer IG Metall, sich gegen den „geplanten Kahlschlag“ des Carraro. Managements zur Wehr gesetzt haben.

Zur Erinnerung: Die Wirtschaftskrise führte Ende 2008 zu einem Abschwung im Baumaschinenmarkt. Davon war auch die O&K AT mit einem starken Auftragsrückgang betroffen. Es kam zu einer Welle von Auftragsstornierungen durch die Kunden. Stefano Cassis vom Carraro-Vorstand in Italien, erläuterte Anfang Juli 2009 der Interessenvertretung die neue industrielle Strategie des Konzerns, die Antriebstechnik Hattingen zu einem „Global Competence Center for Planetary Drives“ auszubauen. Kernpunkt des Konzepts: Von den 188 Arbeitsplätzen sollten nur noch 60 in Hattingen verbleiben.

Juli 2009: Die Belegschaft wendet sich mit dem „Appell der Vernunft“ an die Öffentlichkeit

„Nicht abwarten, sondern angreifen!“

Betriebsräte und Vertrauensleute verständigten sich mit der IG Metall Gevelsberg-Hattingen darauf, nicht abzuwarten, sondern anzugreifen. Denn zu gleicher Zeit stand die Drohung der Räumung vom Werksgelände an der Nierenhofer Straße im Raum. Eine entsprechende Klage hatte die Düsseldorfer Immobiliengruppe Habacker Holding Düsseldorf, Eigentümer und Vermieter des Hattinger Werksgeländes, in erster Distanz gewonnen. „Wir sind zweigleisig gefahren,“ so Gerd Starosta: Zum einen skandalisierten wir mit unserem „Appell an die Vernunft“ öffentlich den Streit um den Mietvertrag. Zum anderen entwickelten wir gemeinsam mit Beschäftigten, unterstützt durch arbeitnehmernahe Berater des INFO-Institutes das Arbeitnehmer-Konzept „Flexible O&K Antriebstechnik“ als Alternative zum Arbeitsplatzvernichtungs-„CORE“- Konzept des Geschäftsführers Manfred Krause.

Auf von IG Metall-Vertrauensleuten zusammengestellten Schautafeln, konnten die bei der „Feier“ anwesenden Kolleginnen und Kollegen die Stationen des Kampfes nachvollziehen. Die, die damals dabei waren, entdeckten sich auf den ausgestellten Bildern. Die, die erst in den letzten 10 Jahren im Betrieb die Arbeit aufgenommen haben, konnten erkennen, dass man „gemeinsam etwas erreichen kann!“ Da war der „Pakt der Solidarität“, die gemeinsamen Demonstrationen und Kundgebung mit den kämpfenden Beschäftigten von Avery Dennison in Sprockhövel, die ebenfalls von Arbeitsplatzvernichtung bedroht waren. Dann wie die O&K’ler bei der Verhandlung über die Räumungsklage vor dem Oberlandesgericht in Hamm aufkreuzten, eine „öffentliche Podiumsdiskussion mit Bundestagsabgeordneten“ auf dem Untermarkt veranstalteten und die „Protestaktion mit Buchstaben“ auf der Fußgängerbrücke von der S-Bahn zur Altstadt durchführten. Mit der Klebe-Aktion „Questa macchina rimane qui!“- „Diese Maschine bleibt hier!“ machten die Beschäftigten deutlich, dass sie sich gegen die Verlagerung von Maschinen nach Italien wehren werden.

25.11.2009: Das „Feuer der Solidarität“ wird entzündet

„Sciopero“ – Streik

„In den Gesprächen über einen Interessenausgleich und Sozialplan, verhärteten sich die Fronten,“ führte Gerd Starosta aus. Die Gegenseite wollte die Verhandlungen scheitern lassen und die Einigungsstelle nach dem Betriebsverfassungsgesetz anrufen. Spätestens jetzt sei allen klar gewesen: Wir müssen auf die eigene Kraft vertrauen. Es war kurz nach fünf am 25. November, die Kollegen der Nachtschicht verließen die Werkshalle, die Frühschichtler trafen ein, da war am Werkszaun zu lesen: „Sciopero – Streik! Wir streiken für unsere Zukunft!“

Zum Zeichen des 24-stündigen Streikbeginns wurde um sechs Uhr das „Feuer der Solidarität“ entzündet. Im Laufe des Vormittags versammelten sich immer mehr Menschen auf dem Platz, Kollegen der Mittagsschicht, Besucher*innen aus anderen Metallbetrieben und Bürger*innen, mitten drin Bürgermeisterin Dagmar Goch. Der Satz des Dichters Bert Brecht machte die Runde: „Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren.“ Die O&K’ler waren bereit für ihre Zukunft zu kämpfen. Das Gejammer des Geschäftsführers von wegen „wilder Streik“ interessierte keinen.

In der Nacht kam die entscheidende E-Mail aus der italienischen Konzernzentrale. Die Italiener bestätigten ihre Bereitschaft, die Verhandlungen wieder aufzunehmen, und teilten mit: „Außerdem informieren wir Sie, dass die Verhandlungsdelegation aus Gesandten vom Hauptquartier aus Campodarsego bestehen wird, die Handlungsvollmacht hat.“ Der Empfehlung der gewerkschaftlichen Interessenvertretung, die Arbeitsniederlegung zu unterbrechen und die Verhandlungen am 4. Dezember wieder aufzunehmen, stimmten die Streikenden mit großer Mehrheit zu. Damit wurde nach 26 Stunden der Streik unterbrochen.

25.11.2019 – Der Erfolg wird gefeiert

Solidarität führte zum Erfolg

Die Verhandlungen Anfang Dezember begannen mit einem Paukenschlag: Alle für das Arbeitnehmer-Konzept „Flexible O&K Antriebstechnik“ notwendigen Maschinen, können in Hattingen verbleiben. Auf der Basis des vom Betriebsrat vorgelegten Layouts, werden die Verhandlungen mit Habacker-Immobilien über einen Mietvertrag mit einer fünfjährigen Laufzeit fortgeführt. In den weiteren Gesprächen wurde klar, dass das Konzept des Betriebsrates weitgehend zum Tragen kommen wird: Es kommt nicht zu betriebsbedingten Kündigungen und die vorgeschlagenen 120 Arbeitsplätze werden gesichert. Tatsächlich wurden es 147 Arbeits- und Ausbildungsplätze. „Heute nach 10 Jahren haben wir immer noch 140 Kolleg*innen an Bord, zu denen noch 30 Beschäftigte auf outgesourcten Arbeitsplätzen hinzukommen,“ erklärte Gerd Starosta.

Nach 28 Wochen Kampf wurde im Januar 2010 der Interessenausgleich und Sozialplan unterzeichnet. Ein Monat später wurde der Geschäftsführer Manfred Krause abgelöst. Ende Juni 2010 unterschrieben die Habacker Immobilien und die Carraro-Gruppe einen neuen Mietvertrag mit einer Laufzeit von fünf Jahren für vier Hallenschiffe auf dem Werksgelände an der Nierenhofer Straße. In den Jahren 2011/2012 investierte der Konzern zum ersten Mal wieder in neue Maschinen am Standort Hattingen.

Betriebsratsvorsitzender Gerd Starosta, Geschäftsführer Stefano Callegati, IGM-Bevollmächtigte Clarissa Bader und Marco Banicelli (v.l.n.r.)

Ende 2015 hatte der italienische Antriebstechnikspezialist Bonfiglioli 55 Prozent der O&K Antriebstechnik GmbH erworben. Die Carraro-Gruppe blieb mit 45 % weiter am Unternehmen beteiligt. Während in Italien die strategische Partnerschaft gefeiert wurde, ist beim Umzug des Betriebes von der Nierenhofer Straße an die Ruhrallee im „Hüttenpark“ alles nach Plan gelaufen. Am 25.11.2019 – zehn Jahre nach dem Streik – stellte der Betriebsratsvorsitzende Starosta unter dem Beifall der Kolleginnen und Kollegen selbstbewusst fest: „Der Kampf der Beschäftigten, ihres Betriebsrates, der Vertrauensleute mit ihrer IG Metall hat sich gelohnt!“

Alle Fotos: IGM GH

 

 

Weitere Artikel

Back to top button
Close