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Solidarisches Grundeinkommen, Abschaffung Hartz IV…?

Im März 2018 waren deutschlandweit rund 850.000 Personen als langzeitarbeitslos registriert, das heißt sie suchen seit einem Jahr oder länger Arbeit. Dies entspricht einem Anteil von 34,4 Prozent aller Arbeitslosen. Trotz der verbesserten Lage am Arbeitsmarkt sind die Chancen für Langzeitarbeitslose eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen extrem niedrig und gleichbleibend schlecht.

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat nachgewiesen, dass lang andauernde Erwerbslosigkeit nicht nur die materiellen Lebensbedingungen, sondern auch die soziale Einbindung der Betroffenen massiv beeinträchtigt und „geförderte Beschäftigung“ diese verbessert. Deshalb setzen sich Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände und progressive Wissenschaft seit langem für einen öffentlichen Beschäftigungssektor – »sozialer Arbeitsmarkt« – mit fairen Bedingungen ein

Es ist also längst überfällig, dass sich die Politik dieser langzeitarbeitslosen Kolleginnen und Kollegen stärker annimmt. In diesem Zusammenhang ist den letzten Wochen eine breite Debatte über das „Hartz IV-System“ entfacht worden. Dabei geht einiges durcheinander. Obwohl immer wieder der Eindruck erweckt wird, schaffen die diskutierten Vorschläge die diskriminierenden Hartz IV-Gesetze nicht ab. Grund genug, die Vorschläge einer Bewertung zu unterziehen.

Worum geht es also genau? Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller hat ein „solidarisches Grundeinkommen“ für Langzeitarbeitslose vorgeschlagen. Der Koalitionsvertrag der Großen Koalition CDU/CSU und SPD sieht die Einführung eines neuen Regelinstrumentes zur „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ für Langzeitarbeitslose vor. In beiden Fällen geht es im Kern darum, einem Teil der Langzeitarbeitslosen über den Weg öffentlich geförderter Beschäftigung Perspektiven am Arbeitsmarkt zu eröffnen.

.„Solidarisches Grundeinkommen“

Anders als der Name vermuten lässt, ist der von Müller gemachte Vorschlag eines „solidarischen“ Grundeinkommens kein „bedingungsloses“ Grundeinkommen, bei dem jede und jeder, unabhängig vom eigenen Einkommen und ohne Prüfung des tatsächlichen Bedarfs, ein steuerfinanziertes Grundeinkommen vom Staat erhält. Beim solidarischen Grundeinkommen geht es um öffentliche Förderung von zusätzlicher, sozialversicherungspflichtiger und unbefristeter Beschäftigung für Langzeiterwerbslose im kommunalen Tätigkeitsbereich. Die Bezahlung soll sich am Mindestlohn orientieren. Zielgruppe sind Langzeitarbeitslose, die sogenannte „schwerwiegende Vermittlungshemmnisse“ und absehbar keine Chancen auf dem „normalen“ Arbeitsmarkt haben. Die Aufnahme der Beschäftigung soll dabei auf Basis der Freiwilligkeit erfolgen.

„Teilhabe am Arbeitsmarkt“

Das im Koalitionsvertrag vorgesehene neue Regelinstrument zur „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ für Langzeitarbeitslose geht in eine ähnliche Richtung. Das Ziel ist, für 150.000 Langzeitarbeitslose durch öffentliche Lohnkostenzuschüsse entweder auf dem ersten Arbeitsmarkt oder auf dem sozialen Arbeitsmarkt Beschäftigung zu schaffen. Rund vier Milliarden Euro stehen dafür bis 2021 zur Verfügung. Anders als beim solidarischen Grundeinkommen gibt es keine Begrenzung auf den kommunalen Bereich, die Tätigkeiten des sozialen Arbeitsmarktes können auch bei gemeinnützigen Einrichtungen und in der freien Wirtschaft entstehen. Die Bezahlung soll sich ebenfalls am Mindestlohn orientieren.

Auf die Ausgestaltung kommt es an

Die Punkte der genauen Ausgestaltung sind offen – doch genau darauf kommt es an: Es muss klar definiert sein, für wen der soziale Arbeitsmarkt überhaupt in Frage kommt. In der Gruppe der Langzeitarbeitslosen sind Menschen, die nicht lange im Hartz IV-System bleiben und die mit einer guten Qualifizierung und Betreuung auch wieder in den ersten Arbeitsmarkt finden.

Andererseits gibt es Kolleginnen und Kollegen, die auf dem ersten Arbeitsmarkt wegen verschiedener Hemmnisse kaum Chancen haben – weil sie beispielsweise gesundheitliche Probleme haben, es in ihrer Region keine geeigneten Arbeitsplätze gibt oder sie wegen familiärer Verpflichtungen nicht umziehen können. Für diese Zielgruppe kann ein sozialer Arbeitsmarkt eine sinnvolle Möglichkeit sein. In jedem Fall sollte es ein Angebot sein, das auf Freiwilligkeit beruht.

Ebenso muss sichergestellt sein, dass reguläre Arbeitsplätze nicht verdrängt werden und es nicht zu Lohndumping kommt. Wichtig ist die Orientierung an tariflicher bzw. ortsüblicher Entlohnung, wenn kein Tarifvertrag vorhanden ist. Weder der Vorschlag des solidarischen Grundeinkommens, noch das im Koalitionsvertrag geplante Teilhabeinstrument sehen dies vor.

Um die Verdrängung von regulärer Arbeit und Dumping zu vermeiden wäre z.B. die Einrichtung regionaler Gremien sinnvoll, in denen unter Beteiligung von Gewerkschaften und Arbeitgebern über die Einrichtung und Einsatzfelder öffentlich geförderter Beschäftigung entschieden wird.

Debatte über Hartz-IV-System längst überfällig

Die in der öffentlichen Debatte erfolgten Erklärungen die Initiativen hätten die „Abschaffung von Hartz IV“ zum Ziel sind irreführend und falsch. Keiner der Vorschläge zielt darauf ab, Hartz IV zu überwinden. Damit existieren auch die Probleme des Hartz IV-Systems fort. Aus gewerkschaftlicher Sicht besteht daher selbst bei angemessener Ausgestaltung öffentlich geförderter Beschäftigung dringender Reformbedarf am Hartz IV-System. Die Regelsätze sind zu niedrig und die Zumutbarkeitsregeln und Sanktionen hochproblematisch“, so Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall.

Darüber hinaus besteht weiterer Handlungsbedarf: So ist die soziale Absicherung bei Arbeitslosigkeit unzureichend. Jeder vierte sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, der seinen Job verliert, landet direkt im Hartz IV-System, weil er die Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld I nicht erfüllt. Mittlerweile erhält nur noch etwa ein Drittel aller Erwerbslosen Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung, zwei Drittel befinden sich im Hartz IV-System. Der Versicherungsschutz muss daher dringend verbessert werden.

Überdacht werden müsste die häufig überzogen auf Vermittlung fokussierte Arbeitsförderung. Sie trägt nicht nur maßgeblich zur Ausweitung atypischer und prekärer Beschäftigung bei, sondern auch dazu, dass viele Erwerbslose unterhalb ihrer eigentlichen Qualifikation vermittelt werden. In Zeiten von Strukturwandel und Fachkräftefrage ist dies weniger denn je angemessen. Auch hier besteht Reformbedarf, damit Qualifikationen erhalten und Erwerbslose nicht Lohndumping ausgesetzt werden. (Unter Verwendung der IG Metall „Informationen zur Sozialpolitik“ Nr. 44 / April 2018)

 

 

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