Sozial gerecht, finanzpolitisch geboten

Hans-Böckler-Stiftung: 12 Euro Mindestlohn verbessert für 8 Millionen das Einkommen
„Klarer geht’s nicht: 12 Euro Mindestlohn – das muss eine der ersten Amtshandlungen der neuen Bundesregierung sein. Denn 12 Euro Mindestlohn sind nicht nur sozial gerecht, sondern auch wirtschaftlich und finanzpolitisch geboten. Ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro wurde am 1. Januar 2015 in Deutschland eingeführt und hat den Stundenlohn von circa vier Millionen Beschäftigten direkt erhöht. Der gesetzliche Mindestlohn ist seit seiner Einführung regelmäßig angepasst worden und beträgt derzeit 9,60 Euro.
Eine Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland auf 12 Euro pro Stunde bringt unmittelbar rund acht Millionen Beschäftigten eine Verbesserung ihres Lohns, zusätzlich dürfte eine Anhebung auch auf Löhne jenseits von Branchen mit traditionell vielen Niedriglohnbeschäftigten wie dem Gastgewerbe oder dem Einzelhandel eine breite Wirkung entfalten. Frauen würden von einem höheren Mindestlohn überdurchschnittlich profitieren, insbesondere wenn sie in Teilzeit arbeiten oder einen befristeten Arbeitsvertrag haben. Beschäftigte in kleineren Betrieben ohne Tarifbindung zählen ebenfalls zu den Hauptbegünstigten, so das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) des DGB.
Unter den 50 Berufen, die am häufigsten von einer Mindestlohnerhöhung auf 12 Euro profitieren würden, finden sich auf den vordersten Plätzen Berufe wie Friseur/in, Bäckereifachverkäufer/in und Florist/in (Ausbildungsdauer: jeweils 3 Jahre). Auch in beliebten Ausbildungsberufen wie Kaufmann/-frau im Einzelhandel, Rechtsanwaltsfachangestellte/r, Zahnmedizinische/r Fachangestellte/r und Kfz‑Mechatroniker/in besteht ein erhöhtes Risiko für Löhne unter 12 Euro. Laut der WSI-Studie ist hierfür eine wichtige Erklärung, dass die Tarifbindung in Deutschland von 68 Prozent zur Jahrtausendwende auf 51 Prozent im Jahr 2020 gesunken ist. Deshalb muss langfristig „das Ziel sein, dass diese Beschäftigten wieder nach Tarifverträgen bezahlt werden, die oberhalb des geltenden Mindestlohns qualifikationsadäquate Löhne garantieren“, sagt Dr. Malte Lübker, Experte für Tarif- und Einkommensanalysen des WSI.
„Ein Mindestlohn von 12 Euro erhöht nicht nur das Erwerbseinkommen der direkt betroffenen Personen, sondern er würde auch das Wirtschaftswachstum steigern und so zusätzliche finanzielle Spielräume für die öffentliche Hand schaffen“, fasst Krebs, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim, eine vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zusammen. Die deutsche Wirtschaftsleistung werde langfristig um circa 50 Milliarden Euro im Jahr gesteigert und erhöht die Staatseinnahmen um jährlich rund 20 Milliarden Euro, was einen wichtigen Beitrag für die Finanzierung öffentlicher Investitionen leisten kann. Angesichts des starken Transformationsdrucks im Zeichen von Klimawandel und Digitalisierung könnten „ein angemessener Mindestlohn und eine Stärkung der Tarifbindung“ den „Klimaschutz mit sozialer Gerechtigkeit verknüpfen“, betont der Ökonom.
Die Autoren der Studie, Prof. Dr. Tom Krebs und Dr. Moritz Drechsel-Grau, stützen ihre Analyse auf Modellrechnungen in einem modernen Arbeitsmarktmodell. Dabei rechnen die Wirtschaftswissenschaftler die Auswirkungen einer Mindestlohnerhöhung auf Arbeitsmarkt und Wirtschaft durch. Die Berechnungen der Ökonomen für eine Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro zeigen als zentrale Ergebnisse:
- Eine Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro hat langfristig keinen nennenswerten Effekt auf die Gesamtbeschäftigung. Denn einem erheblichen Rückgang bei der Zahl von Minijobs steht ein ebenso großer Anstieg der Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Teil- und Vollzeit gegenüber. Vorteil dabei: Sozialversicherungspflichtige Jobs sind deutlich besser abgesichert und stabiler. Etwa durch Kurzarbeit, wie sich gerade in der Corona-Krise gezeigt hat.
- Wenn der Mindestlohn auf 12 Euro steigt, steigert das langfristig die durchschnittliche gesamtwirtschaftliche Arbeitsproduktivität um knapp ein Prozent. Der Grund hierfür ist, dass ein höherer Mindestlohn eine Verlagerung der Beschäftigung weg von weniger produktiven Jobs und hin zu Jobs mit höherer Produktivität verursacht – die sogenannte „Produktivitätspeitsche“. Ein Anstieg der Arbeitsproduktivität ließ sich auch nach Einführung des gesetzlichen Mindestlohns 2015 beobachten.
- Eine Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro steigert langfristig die gesamtwirtschaftliche Produktion jährlich um circa eineinhalb Prozent (circa 50 Milliarden Euro).
- Ein Mindestlohn von 12 Euro führt über Steuern und Abgaben langfristig zu staatlichen Mehreinnahmen von circa 20 Milliarden Euro im Jahr. „In Zeiten sinkender Staatseinnahmen und hoher Budgetdefizite können zusätzliche Einnahmen dieser Größenordnung einen wichtigen Beitrag zur Finanzierung der Zukunftsinvestitionen leisten, die zum Beispiel für eine erfolgreiche Klimapolitik notwendig sind“, konstatiert Krebs.
Die Ergebnisse der Studie belegen, dass ein Mindestlohn von 12 Euro nicht nur aus sozialpolitischer Sicht geboten, sondern auch wirtschafts- und finanzpolitisch sinnvoll ist.