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Sozialismus – ein Projekt der politischen Emanzipation

Die Vertreterin demokratisch-sozialistischen Denkens wäre heute 150 Jahre alt

Rosa Luxemburg (1871-1919) war eine herausragende Vertreterin demokratisch-sozialistischen Denkens im 20. Jahrhundert. Die führende Akteurin der sozialistischen Bewegung wurde am 5. März 1871 in der Kleinstadt Zamość im russisch besetzten Polen als Tochter eines Holzhändlers geboren. Sie wäre in diesem Jahr 150 Jahre alt. Luxemburg wurde eine brillante Schriftstellerin und politische Analytikerin, eine einflussreiche Ökonomin, eine wichtige soziale Denkerin, deren Werke – oft leidenschaftlich – selbst heute noch gelesen werden, ein Jahrhundert nach ihrem Tod. Die revolutionäre Sozialistin wurde in einer Zeit zu einer Kämpferin, in der Frauen noch nicht einmal das eingeschränkte Wahlrecht hatten, welches das Deutsche Reich den Arbeitern gewährte. Ein triftiger Grund an ihre politischen Analysen und ihre Aktivitäten bei revolutionären Kämpfen zu erinnern.

Im Jahr 1889 entschließt sie sich, von Warschau zum Studium nach Zürich zu gehen. Luxemburg registriert aufmerksam die Unterdrückung der geknechteten Mehrheit durch eine starke und privilegierte Minderheit, die das Leben von Millionen von Menschen zerstörte. Sie identifizierte dies in Form der Klassengesellschaft, des Kolonialismus und des Imperialismus. Fast zehn Jahre später siedelt die Sozialistin nach Deutschland über. Auf Parteitagen, internationalen Kongressen und mit ihrer publizistischen Tätigkeit profiliert sich als Denkerin und Führerin der linken Strömung in der deutschen Sozialdemokratie. Aus ihrer Kritik schöpfte am Kapital schöpfte sie die Kraft für revolutionäres Tun. 

Voller Hoffnung begrüßte sie die russische Revolution, blieb als revolutionäre Demokratin aber kritisch und wach. Für sie waren Revolution und Reform keine Gegensätze – die Entscheidung zwischen Reformismus und Revolution ein Scheindilemma: „Kann denn die Sozialdemokratie gegen die Sozialreform sein? Oder kann sie die soziale Revolution, die Umwälzung der bestehenden Ordnung, die ihr Endziel bildet, der Sozialreform entgegenstellen?“ Luxemburg betrachtete Reformen als notwendige Lernplattformen, die der Masse der Unterdrückten die Fähigkeiten zur autonomen Entscheidungsfindung vermitteln und von der aus sie sich auf das Erringen politischer Macht vorbereiten würden. Reformen waren für sie also eine Art Testlauf der Befreiung für die tatsächliche Befreiung.

Als eine mutige Frau mit einem lebendigen Idealismus und tief humanistischen Ideen, konnte sie mit menschlicher Wärme und mitreißendem Temperament viele Menschen gewinnen, die unzufrieden waren mit den verschiedenen unterdrückenden Faktoren der kapitalistischen Gesellschaft. Besonders für jüngere Menschen waren ihre politischen Ansichten über eine demokratische und humanistische Version des Sozialismus sehr inspirierend. 

Sozialismus war für sie nicht eine für andere zu erbringende Leistung oder gar das Geschenk einer Partei an die Unterdrückten und Ausgebeuteten. Sozialistische Politik und Sozialismus sollten aus der gemeinsamen, freiwilligen und bewussten Bewegung aller Unterprivilegierten entstehen. Sie war überzeugt, dass die Arbeiterklasse die Fähigkeit hat oder diese durch Praxis erwerben kann, dem Kapitalismus ein Ende zu bereiten. Aus den Erfahrungen der russischen Revolution 1905/06 zog sie in Berlin Schlussfolgerungen für die deutsche Arbeiterschaft, sie verteidigte den politischen Massenstreik als revolutionäres Kampfmittel.

Einer der Schwerpunkte ihrer politischen Arbeit waren das gesprochene und geschriebene Wort an die Arbeiter*innen. Sie wollte sie direkt erreichen und zum eigenen Handeln motivieren. Sie war davon überzeugt, dass die arbeitende Mehrheit im Kapitalismus ein politisches Programm entwickeln sollte und auch könnte, um ihre Interessen zu schützen und den Kapitalismus so letztendlich durch etwas Besseres zu ersetzen.  Die Aufgabe der Marxist*innen sah sie darin, diesen Lernprozess zu unterstützen – vor allem anderen dadurch, dass sie dorthin gingen, wo auch immer die Arbeiter*innen sich befanden. So erklärt sich, dass Rosa Luxemburg auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung des DMV (Vorläuferorganisation der IG Metall) am 1. Oktober 2010 in Hagen gesprochen hat. „Erst vor wenigen Wochen haben sie hier in Hagen und Schwelm einen mustergültigen, großartigen Kampf ausgefochten, wie er die Bewunderung der gesamten klassenbewussten Arbeiterschaft in ganz Deutschland verdient“, sagte sie den versammelten Metaller*innen. (1)

Was war damals in der Bergischen Region geschehen? Die Auftragsbücher der Betriebe in der Metallindustrie waren in diesem Jahr voll und Überstunden die Regel. Während die Gewinne der Unternehmer stiegen, hatte der Umfang der Lohntüten in den Jahren zuvor kaum zugenommen hatte. Daraufhin forderten die Former der Gießerei Dieckerhoff in Gevelsberg bis zu sechs Prozent mehr Lohn. Sie wollten, wie es Luxemburg formulierte, die Marktlage ihrer Ware Arbeitskraft gemeinsam mit ihrer gewerkschaftlichen Organisation – dem DMV – verbessern. Die Dieckerhoffer konnten nicht erahnen, welch‘ erbittert geführter Arbeitskampf im Landkreis Hagen- und Schwelm aus ihrem Lohnkampf entstehen sollte. Auf dem Höhepunkt des Arbeitskampfes sperrten die Metallarbeitgeber rund 20.000 Arbeiter*innen in der Bergischen Region aus. 

Der gewerkschaftliche Kampf war für die Sozialistin eine „Sisyphusarbeit“, diese sei „allerdings unentbehrlich, soll der Arbeiter überhaupt zu der ihm nach der jeweiligen Marktlage zufallenden Lohnrate kommen, soll das kapitalistische Lohngesetz verwirklicht und die herabdrückende Tendenz der wirtschaftlichen Entwicklung in ihrer Wirkung paralysiert, oder genauer, abgeschwächt werden.“

Bei ihrem leidenschaftlichen Vorhaben, die Welt zu verstehen und zum Besseren zu verändern, fühlte sich Rosa Luxemburg stark zu den Ideen von Karl Marx und Friedrich Engels hingezogen. Unter „sozialer Umschichtung“ verstand sie wie die beiden Philosophen die Umstürzung aller Verhältnisse, „in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“. Diese soziale Umschichtung wollte sie durch steten Kampf um Hegemonie erreichen, mit deren Hilfe die innergesellschaftlichen Kräfteverhältnisse nachhaltig verschoben werden sollten. Der Sozialismus war für Luxemburg ein Projekt der wirtschaftlichen wie auch der politischen Emanzipation. 

Die wachsende Aggressivität des deutschen Militarismus sowie die Kriege um eine Neuaufteilung der Welt verliehen für sie der Friedensfrage ein besonderes Gewicht. Mit all ihrer Kraft versuchte sie, den Ersten Weltkrieg, der von 1914 bis 1918 tobte, zu verhindern. Die angestrebte sozialistische Gesellschaft galt Rosa Luxemburg als zutiefst friedfertig. Im Januar 1916 nahm der Widerstand gegen den Krieg zu. Sie gründete mit anderen Sozialist*innen die Spartakusgruppe. Unter Führung von Rosas engstem Kampfgefährten, des Reichstagsabgeordneten Karl Liebknecht, rief die Spartakusgruppe zu einer ersten großen Antikriegskundgebung für den 1. Mai in Berlin auf. 10.000 Menschen kamen zu der Kundgebung. Sie endete mit der Verhaftung Liebknechts. Auch Luxemburg wurde wegen ihrer Antikriegsreden zu Gefängnishaft verurteilt. Von Juli 1916 bis November 1918 wurde sie in Berlin, Wronke und Breslau inhaftiert. 

Die November-Revolution befreit Rosa Luxemburg aus dem kaiserlichen Gefängnis. Am 8. November 1918 aus der Haft entlassen, engagiert sie sich mit ganzer Kraft in den Revolutionstagen in Deutschland. Luxemburgs Leben wurde jedoch brutal beendet. Am 15. Januar 1919 wurden sie und Karl Liebknecht von pro-faschistischen Militärs ermordet und in den Berliner Landwehrkanal geworfen. Sie war zu diesem Zeitpunkt noch keine 48 Jahre alt und konnte weder ihr Leben noch ihr Lebenswerk vollenden. 

Ihre Analysen zur Entwicklung der Globalisierung, zur Krise des Finanzkapitalismus, zum Verhältnis zwischen Parteien und sozialen Bewegungen sowie zur Unabdingbarkeit des Internationalismus haben auch heute noch eine starke Relevanz. Ihr unversöhnlicher Kampf gegen den Krieg und die Radikalität, mit der sie auf der Verbindung von politischer Freiheit und sozialer Gleichheit bestand, haben bis heute ihre Bedeutung und ihre inspirierende Wirkung behalten. Für die gewerkschaftliche Arbeit bleibt u.a. ihre Erkenntnis, dass die Selbstaktivität der Arbeiterklasse der Schlüssel für Veränderungen ist, und sie Reformen am besten erreicht, wenn sie ihre Interessen verfolgt und sich nicht an die Interessen des Kapitals bindet.

Autor: Otto König

(1) Siehe auch: Rainer Stöcker „Keiner wollt sich ducken“, Der große Arbeitskampf in Hagen-Schwelm 1010, Hagener Geschichtshefte, Heft 7

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