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„Streikrecht verteidigen – Demokratie sichern!“ – Angriff auf den Streikparagrafen 116

Die Attacke von Politik und Kapital Mitte der 1980er-Jahre auf das Streikrecht war nach 1945 der größte Angriff auf Arbeitnehmerrechte und Gewerkschaften. Der „Kampf um die Arbeitszeitverkürzung“ darf sich nicht wiederholen, lautete Ende 1984 die Parole mit der Arbeitgeber und konservative Politiker gemeinsam die Änderung des „Streikparagrafen 116“ im Arbeitsförderungsgesetz betrieben. Dieser Angriff der FDP/CDU/CSU-Bundesregierung unter Kanzler Helmut Kohl mobilisierte in kurzer Zeit zwei Millionen ArbeitnehmerInnen für ihre erkämpften Rechte.

Der bis zu diesem Zeitpunkt nahezu unbekannte Paragraf regelte, beschreibt unter welchen Voraussetzungen an abhängig Beschäftigte, die während eines Arbeitskampfes vorübergehend aufgrund von Produktionsstillständen nicht arbeiten können, Kurzarbeitergeld gezahlt wird.

Die Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit griffen immer wieder einseitig in Streiks ein, um „kalt Ausgesperrten“ das Kurzarbeitergeld zu sperren. Wenige Wochen im Amt schlug sich Heinrich Franke (CDU) mit dem nach ihm benannten Erlass vom 18. Mai 1984 im Arbeitskampf der Metaller zur Durchsetzung der „35 Stunden-Woche“ auf die Seite der Arbeitgeber. Mit Rückendeckung von Bundesarbeitsminister Norbert Blüm verweigerten die Arbeitsämter den „kalt“ Ausgesperrten das ihnen zustehende Kurzarbeitergeld.

Infolge dessen standen rund 500.000 heiß und kalt Ausgesperrte im 1984er-Metaller-Streik vor den Fabriken – zehnmal so viele wie Streikende. Mit diesem Druck sollte die IG Metall in die Knie gezwungen und der Arbeitskampf zugunsten der Arbeitgeber verkürzt werden. Doch Ende Juni kassierten die Landessozialgerichte Bremen und Hessen den politisch motivierten Rechtsbruch und erklärten den »Franke-Erlass« für rechtswidrig. Die Arbeitsämter mussten das Kurzarbeitergeld auszahlen. Der Arbeitskampf endete mit einem Kompromiss: Die Arbeitszeit wurde zunächst auf 38,5 Stunden pro Woche bei vollem Lohnausgleich verkürzt.

„Wer die Hand hebt für dieses Schandgesetz…..“

Am 20. März 1986, es ist der Tag der 3. Lesung der vom Bundeskabinett eingebrachten Gesetzesänderung, wedelt Dr. Adam Schwätzer im Bonner Bundestag erregt mit einem „DGB-Info-Blatt“ in der Luft herum. Der Plan des „DGB-Ortskartell Hattingen“ für den 3. Aktionstag „Gegen den Handstreich in Bonn“, dient der FDP-Abgeordneten als Beweis, dass die gewerkschaftlichen Proteste gegen die Einschränkung des Streikrechts inszeniert sind. Am Rednerpult giftet sie: „Hier wird eine kaltblütige Strategie gegen die Bundesregierung verfahren“.

Tags zuvor: Die schriftliche Aufforderung von Dr.Projahn, Märkischer Arbeitgeberverband, an den Hattinger IG Metall-Bevollmächtigten, „Aufrufe zu Arbeitsniederlegungen während der Arbeitszeit“ zu unterlassen, um „Schadenersatzansprüche gegen den Veranstalter“ zu vermeiden, kommt „zu spät“. Der Bote hatte sich bedauerlicherweise das Bein gebrochen. Spontan legen am Vormittag 800 Beschäftigte der Bergbau-Zulieferbetriebe die Arbeit nieder und demonstrieren durch Sprockhövel.

Währenddessen ziehen über 1.000 Stahlarbeiter der Hütte vors Sozialgebäude auf dem Werksgelände. Schließlich verlassen gegen Mittag die O&K’ler im Blaumann das Werksgelände und blockieren gemeinsam mit Kollegen von Köppern, der Hütte und Beschäftigten der Stadt Hattingen, der Post und GEW-Kollegen den alten Busbahnhof am Reschop. Die Botschaft an die Bonner ist unmissverständlich: „Wer die Hand hebt für dieses Schandgesetz, stimmt gegen die Mehrheit des deutschen Volkes!“

Dennoch beschließt der Bundestag einen Tag später den neuen „116“ in namentlicher Abstimmung mit 265 Stimmen von CDU, CSU und FDP gegen 210 Stimmen der SPD und der Grünen, die sich in dieser Auseinandersetzung um die Einschränkung von Grundrechten auf die Seite der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften gestellt hatten.

Hände weg vom Streikrecht!

Der Streit um die Arbeitszeitverkürzung und die Anwendung des Streikparagrafen 116 war Ende 1984 aus den Schlagzeilen verschwunden. Das hinderte die Arbeitgeber jedoch nicht daran, ihr Klagelied gegen die neue, raffinierte „Minimax“-Streiktaktik der IG Metall fortzusetzen. Sie forderten „Rechtsklarheit und Neutralität des Staates im Arbeitskampf“. Die Politiker, denen eine gewerkschaftliche Tarifpolitik, die sich nicht den Interessen des Kapitals unterordnet und ihren konservativen Rezepten zur Krisenbewältigung nicht traut, zu wider war, nahmen den Ball auf, Insbesondere die wirtschafts-liberalen Ideologen der FDP zogen aus dem Arbeitskampf die heuchlerische Schlussfolgerung, dass im „Interesse der Arbeitnehmer“ die „Waffengleichheit“ zwischen den Tarifvertragsparteien wieder hergestellt werden müsse.

 

Während die Regierenden die Änderung des 116 vorbereiten, belog die Bundesregierung sowohl die Bundestagsabgeordneten und als auch die Öffentlichkeit. Am 15. August 1985 lautete die Antwort auf eine Kleine Anfrage der SPD, es gebe „bisher keine Überlegungen zu einer Änderung des §116 AFG“. Doch spätestens im November war klar: Die Bundesregierung würde von ihren Änderungsplänen nicht ablassen. Die Gewerkschaften beschlossen

sich „mit allen zu Gebote stehenden Mitteln“ gegen die Beseitigung der Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit und die Bedrohung des Streikrechts zur Wehr zu setzen.

„Hände weg vom Streikrecht – IG Metall“, diese Botschaft ist ab Mitte November 1985 auf Transparenten über den Eingangsstraßen nach Hattingen für die Bevölkerung weithin sichtbar. Großflächig wird die Aktionszeitung „Wehret den Anfängen – Hände weg vom Streikrecht“ in die Haushalte verteilt. In nur zwei Wochen unterschreiben über 5.000 BürgerInnen gegen die Regierungspläne. 190 Gewerkschafter, Lehrer, Ärzte, Pfarrer und Professoren – an der Spitze die Bürgermeister und Stadtdirektoren der Städte Hattingen und Sprockhövel – schalten den Aufruf „Hände weg vom Streikrecht“ als Großanzeige in den örtlichen Zeitungen.

Der Widerstand in den Betrieben wächst. Obwohl die Arbeitgeber mit Repressalien drohen und den demokratischen Protest in den Feierabend verbannen wollen, protestieren die Beschäftigten während der Arbeitszeit: Am 10.Dezember demonstrieren erstmals bundesweit rund 500.000 gegen die Änderung des Streikparagrafen. In Hattingen und Sprockhövel folgen rund 4.000 KollegInnen und Kollegen dem Aufruf der IG Metall und legen die Arbeit nieder. Das Recht, auch während der Arbeitszeit gegen arbeitnehmerfeindliche Gesetzesvorhaben zu demonstrieren, wurde nicht theoretisch diskutiert, sondern praktiziert.

Helmut Kohl erklärt mit markigen Worten, seine Regierung werde „nicht dem Druck der Straße weichen“. Wenige Tage später beschließt die schwarz-gelbe Bundesregierung offiziell ihren Gesetzesentwurf, der die Situation von „mittelbar von einem Arbeitskampf betroffenen Arbeitnehmer“ verschlechtert und die Streikfähigkeit der Gewerkschaften bedroht.

 

Beschäftigte der Betriebe in Sprockhövel demonstrieren am 19.03.1986 gegen den neuen 116. Foto: IGM-GH-Archiv
Beschäftigte der Betriebe in Sprockhövel demonstrieren am 19.03.1986 gegen den neuen 116. Foto: IGM-GH-Archiv

 

Wir lassen uns nicht an die Kette legen!

Zu Beginn des Jahres 1986 machen die ArbeitnehmerInnen mit viel Einfallsreichtum ihrem Ärger über die arbeitnehmerfeindliche Politik der Bundesregierung Luft. In den die beiden IG Metall Vst. Gevelsberg und Hattingen werden die Widerstandsaktionen verstärkt. Der namentlich gekennzeichnete Aufruf „Streikrecht verteidigen – Demokratie sichern“ wird als Plakat gedruckt in den Betrieben ausgehängt und auf Stellwänden in den Städten des Ennepe-Ruhr-Kreises plakatiert.

In Hattingen gründet sich eine Bürgerinitiative. Der SprecherInnenrat – Adi Ostertag (IGM), Dr. Anne Gilles (Oberärztin) und Wieland Schmid (Grafiker) – entwickeln mit Unterstützung von Gewerkschaftssekretär Hartmut Schulz eine rege Öffentlichkeitsarbeit: Herausgabe einer Bürgerzeitung, Abdruck einer ganzseitigen Anzeige in der WAZ, die von 463 BürgerInnen unterzeichnet und selbst finanziert wird, Imitierung von Kleinanzeigen, in den Beschäftigte gegen die Einschränkung des Streikrechts Stellung beziehen.

Durch ihr gesetzgeberisches Hau-Ruck-Verfahren heizt die Bonner Regierung die Stimmung gegen die geplante Gesetzesänderung in den Betrieben noch zusätzlich an. Auf einer eigens am 5. Februar angesetzten Sondersitzung findet die erste Lesung der eingebrachten Gesetzes-änderung statt. Dagegen protestieren erneut rund 500.000 Beschäftigte. Von den 4.000 Beschäftigten die in 20 Hattinger und Sprockhöveler Betrieben die Arbeit niederlegen, ziehen rund 2.500 in zwei Demonstrationszügen zum traditionellen Kundgebungsplatz „Untermarkt“ in Hattingen.

Dass die MetallerInnen einen langen Atem haben zeigt sich in der „Gemeinsamen Funktionärs-konferenz der IGM Vst. Gevelsberg, Hattingen und Velbert Ende Februar. Über 700 Teilnehmer zollen dem geschäftsführenden Vorstandsmitglied Hans Preiss im IG Metall-Bildungszentrum in Sprockhövel für seine Feststellung „wir lassen die Bundesrepublik weder zur Feierabend-demokratie noch zur Unternehmer-Republik verkommen“ kräftigen Beifall,

Wie recht er hatte, sollte sich vier Wochen später zeigen: Am 6. März – dem Jahrestag der Bundestagswahl 1983, an der die „Sozialabbau- Politik“ der Kohl‘schen Regierung ihren Anfang nahm, beteiligen sich ca. eine Million Menschen an 250 Gewerkschaftskundgebungen. „Zum Tribunal gegen die Regierung strömten 5.000“, titelte die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ). Nach Grußworten des Hattinger Bürgermeisters Günter Wüllner und Dr. Anne Gilles, der Sprecherin der Bürgerinitiative, rief der NRW-Landesvorsitzende der Gewerkschaft HBV, Gerd Keuchel, den 5.000, die sich zwischen den Fachwerkhäusern drängten, zu: „Die System-veränderer sitzen auf der Regierungsbank und nicht auf der Straße. Wir lassen uns nicht an die Kette legen“.

98,2 Prozent stimmen gegen Änderung des 116
Kanzler Kohl hat Wort gehalten. Am 20. März wurde der „Arbeitgeber 116“ Gesetz. Mit Blick auf die noch ausstehende Beschlussfassung im Bundesrat bäumten sich die Gewerkschaften ein letztes Mal auf und organisierten im April ein „Arbeitnehmer-Votum“. Über sieben Millionen ArbeitnehmerInnen stimmten gegen die Änderung des 116 und gegen die Einschränkung der Streikfähigkeit der Gewerkschaften.

Das Nein in den 21 Betrieben der IG Metall Hattingen war klar: 98,2 Prozent der 8.351 befragten Beschäftigten sprachen sich gegen die Gesetzesänderung aus. Selbst dort, wo selbstherrliche Geschäftsführer wie bei der Eich Rollenlager GmbH in Hattingen, die Abstimmung im Betrieb untersagten, stimmten die Beschäftigten ab. Vorm Werkstor und das eindeutig: Es gab keine einzige Nein-Stimme.

Der Bundesrat ließ das vom Bundestag beschlossene Gesetz am 18. April 1986 passieren. Trotz alledem: Für die DGB-Gewerkschaften bleibt in den kommenden Jahren die Sicherung des Streikrechts oberstes Ziel, damit die Arbeitnehmer nicht der Arbeitgeber-Willkür ausgeliefert werden.

 

Der Text stützt sich u.a. auf folgende Quellen:

Geschäftsbericht der IG Metall Verwaltungsstelle Hattingen 1984-86
„…denn wir geben nicht auf“ Der Kampf um den Streikparagrafen 116, metall-Taschenbuch, Frankurt/Main 1986

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