Politik und Gesellschaft

Umfrage: Große Mehrheit für 12 Euro Mindestlohn

Keine „Corona-Nullrunde“

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In der Debatte um die Höhe des Mindestlohns in Deutschland ist die Meinung der meisten Bürger*innen eindeutig. 86 Prozent halten den aktuellen Mindestlohn von 9,35 Euro brutto pro Stunde für zu niedrig, Eine Anhebung auf 12 Euro pro Stunde befürworten 78 Prozent aller Befragten. Das ist ein Ergebnis einer repräsentativen Umfrage, die das Institut für Meinungsforschung Kantar im Auftrag des DGB durchgeführt hat.

„Das sind klare Mehrheiten für einen höheren Mindestlohn. Auch in Corona-Zeiten gibt es dafür über alle Parteigrenzen hinweg enormen Zuspruch. Arbeitgeber und wirtschaftsnahe Teile der Politik dürfen sich dem nicht länger verschließen“, sagt DGB-Vorstand Stefan Körzell mit Blick auf die anstehende Entscheidung in der Mindestlohnkommission. Die Kommission aus Vertretern der Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften und Wissenschaftlern wird voraussichtlich noch in diesem Monat einen Vorschlag für die Erhöhung des Mindestlohns zum 1. Januar 2021 vorlegen, der dann per Verordnung der Bundesregierung umgesetzt werden kann.

Die Befragten sind sich bemerkenswert einig – der Wunsch nach höheren Mindestlöhnen zieht sich durch alle Alters- und Einkommensgruppen. Die Lohndebatte wird auch durch die Corona-Krise geprägt. 93 Prozent fordern, die Leistung von Beschäftigten in „gesellschaftlich wichtigen Bereichen wie Gesundheitsversorgung, Gebäudereinigung und in Supermärkten“ durch eine bessere Bezahlung zu honorieren.

Existenzsichernde Mindestlöhne notwendig

Aber auch für alle anderen Beschäftigten in den Niedriglohnsektoren sind existenzsichernde Mindestlöhne gerade unter den schwierigen gesellschaftlichen Ausnahmebedingungen der Corona-Krise von hoher Bedeutung für die soziale und politische Stabilität. Wenn schon der Mindestlohn kein existenzsicherndes Einkommen ermöglicht, dann führen erst recht in der Krise vielfach in Anspruch genommene Sozialleistungen wie Arbeitslosen- oder Kurzarbeitergeld, die lediglich 60 % bzw. 67 % des vormaligen Nettolohns umfassen, in eine äußerst schwierige Einkommenssituation.

Die Einführung des Mindestlohns zum 1. Januar 2015 war notwendig, weil die in Deutschland lange Zeit dominierende Form der Bestimmung von Mindestlöhnen durch Tarifverträge in wachsenden Bereichen der Wirtschaft nicht mehr funktioniert hat, sodass viele Beschäftigte ohne jegliche Mindestlohnsicherung auskommen mussten. Die Kehrseite der seit Mitte der 1990er Jahre anhaltenden Erosion der Tarifbindung war die Herausbildung eines der größten Niedriglohnsektoren in Europa. Heute bildet der gesetzliche Mindestlohn ein ergänzendes Element der Lohnsetzung in Deutschland, das den traditionellen Modus der Lohnfindung durch Tarifverhandlungen ergänzt. Dennoch werden immer noch rund 2,4 Millionen Beschäftigte in Deutschland von kriminellen Arbeitgebern um ihren gesetzlichen Mindestlohn geprellt, so der DGB. Der Gesamtschaden für Beschäftigte und die Allgemeinheit beläuft sich jedes Jahr auf mehrere Milliarden Euro.

Ablehnung der Forderung nach Aussetzung der Erhöhung

Forderungen von Arbeitgebern und Teilen der Union, die anstehende Erhöhung des Mindestlohns Corona-bedingt auszusetzen, stoßen bei der Umfrage auf breite Ablehnung. 74 Prozent der Befragten lehnen dies ab.  Nach Parteipräferenzen sprechen sich 94 Prozent der Grünen-Anhänger*innen dagegen aus, 80 Prozent der Linken-Anhänger*innen, 72 Prozent der Unions-, 69 Prozent der SPD- und selbst 51 Prozent der FDP-Anhänger.

Fakt ist: Forderungen nach einer zurückhaltenden Anpassung oder gar Nullrunde beim Mindestlohn mit Hinweis auf die Corona-Krise wie vom Wirtschaftsrat der CDU sind daher fehl am Platze. „Eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns wäre ein Mühlstein, der den Arbeitsmarkt noch weiter herunterzieht“, sagte Wolfgang Steiger (CDU). Das ist Unsinn.

Eine „Corona-Nullrunde“ beim Mindestlohn wäre ein sozialer als auch ökonomischer Hinsicht kontraproduktiv und würde die Schwächsten in der Gesellschaft treffen“, heißt es in einer Zeitungsanzeige in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die von mehr als 200 Wissenschaftler*innen unterzeichnet wurde. Gerade in Zeiten von Corona ist eine beschleunigte, schrittweise Erhöhung des Mindestlohns auf ein Niveau von 12 Euro erst recht wirtschafts- wie sozialpolitisch geboten.

Höhere Mindestlöhne stabilisieren Konjunktur

So vertraut auch eine deutliche Mehrheit der Befragten auf die konjunkturstabilisierende Wirkung eines höheren Mindestlohns. 77 Prozent der Befragten sagen, ein höherer Mindestlohn trage dazu bei, Konsum und Wirtschaft anzukurbeln. Auch hier gibt es deutlichen Zuspruch unter allen Parteianhängern (SPD 94 Prozent, Grüne 90, Linke 89, Union 77, FDP 55).

In einem aktuellen Gutachten für die Mindestlohnkommission empfehlen deshalb Forscher der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung eine schrittweise Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro. Dies würde rund zehn Millionen Beschäftigte besserstellen. „Politik und Ökonomen sind sich einig, dass die Nachfrage in Deutschland nach den Einschränkungen zur Corona-Bekämpfung dringend angekurbelt werden muss“,, erklärt Tarifexperte Thorsten Schulten vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI. „Ein deutlich höherer Mindestlohn kommt Beschäftigten zugute, die sehr wenig verdienen und zusätzliches Einkommen umgehend ausgeben werden.“

Forderungen nach einer zurückhaltenden Anpassung oder gar Nullrunde beim Mindestlohn mit Hinweis auf die Corona-Krise seien deshalb fehl am Platze.  Auch für Prof. Dr. Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) ist es „in der aktuellen Situation besonders wichtig, die Erwartungen auf Einkommenssteigerungen der privaten Haushalte zu stabilisieren“. Eine Anhebung des Mindestlohns könne hierzu einen wichtigen Beitrag leisten, da davon eine Signalwirkung für die gesamte Lohnentwicklung ausgehe.

Ein Konzept für eine weitere schrittweise Anhebung des Mindestlohns ist nach Analyse der Wissenschaftler umso drängender, weil sich bislang die mit dem Mindestlohn verbundenen Hoffnungen auf eine nachhaltige Reduzierung des Niedriglohnsektors und die Etablierung existenzsichernder Löhne kaum erfüllt haben. Wenn mit dem Mindestlohn auch das Ziel erreicht werden soll, nach langjähriger Beschäftigung eine Rente oberhalb der Grundsicherungsschwelle zu erreichen, hätte er bereits im vergangenen Jahr bei mindestens 11,51 Euro liegen müssen. Um den Unternehmen genügend Spielraum zur Anpassung an ein höheres Lohnniveau einzuräumen, wäre es nach den Forschern von WSI und IMK auch in Deutschland sinnvoll, die Erhöhung des Mindestlohns in einem mehrjährigen Stufenplan durchzuführen.

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