„Umverteilung von unten nach oben“ beenden

Kapital und Politik rühren Werbetrommel für niedrigere Unternehmenssteuern
Kaum lässt die Pandemie nach, ertönt lautstark der Ruf nach Steuerentlastungen für die Unternehmen. Vor allem die Arbeitgeber*innen, die während des letzten Jahres von den staatlichen „Rettungsschirmen“, sprich Finanzhilfen, also Steuergeldern sowie vom Kurzarbeitergeld profitiert haben, trommeln vor der Bundestagswahl gegen Steuererhöhungen und für die Deckelung der Sozialabgaben.
BDA, BDI und Gesamtmetall sowie die marktradikale Propaganda-Truppe „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (ISNM) sind Vorreiter dieser sogenannten „Entlastungskampagne“, die von konservativen Politiker*innen unterstützt wird. Während Grüne, SPD und Linke sich für höhere Steuern auf Erbschaften und Vermögen aussprechen, unterstützen CDU/CSU und FDP ihr Unternehmer*innenklientel und erteilen Steuererhöhungen eine harsche Absage.
Zur Begründung niedrigerer Unternehmenssteuern müssen Rechtfertigungen aus der Mottenkiste herhalten: Steuerpolitische Anreize würden die Betriebe zu mehr Investitionen veranlassen und damit die Wirtschaft kräftig ankurbeln. Zudem seien die deutschen Steuersätze im internationalen Vergleich viel zu hoch. Deshalb sollte jetzt endlich nachgezogen werden, weil sonst die Wettbewerbsfähigkeit verloren geht. Das alles hört man seit Jahren zum x-ten Mal.
Doch einer genaueren Analyse halten diese Parolen nicht stand! Niedrige Steuersätze sind alles andere als der große unternehmerische Investitionsmotor. So hat eine Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung (HBS) gezeigt, dass Steuersenkungen für Unternehmen keinen positiven Effekt auf das Wirtschaftswachstum haben. Als ökonomischer Faktor wird ihre Rolle in der öffentlichen Diskussion daher maßlos überschätzt.
Fakt ist: Die Arbeitgeber*innen sollten nicht zu sehr über ihre Belastungen lamentieren. Ihr Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens ist recht überschaubar. Im letzten Jahr betrugen die gesamten Steuereinnahmen der Bundesrepublik fast 740 Mrd. Euro. Auf die Gewerbe- und Körperschaftssteuer entfielen davon weniger als 10 Prozent. Zum Vergleich: Die Lohn- und Umsatzsteuer machten dagegen mehr als die Hälfte des Steueraufkommens aus (siehe Grafik). Schon aus diesem Grund, aber auch aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit sind weitere Entlastungen unangebracht. Auch Unternehmer*innen haben eine Verantwortung und müssen ihren gesellschaftlichen Beitrag leisten.

Hinzu kommt: Das Schreckgespenst vom hohen Steuergefälle zu anderen Ländern hält der Realität nicht stand. Die globale Mindestbesteuerung nimmt immer konkretere Formen an, so dass der Anpassungsdruck nach unten an Schärfe verliert. Und unabhängig davon waren deutsche Unternehmen in den Vor-Corona-Jahren – trotz ihrer angeblich großen Steuerlasten – ausgesprochen erfolgreich und wettbewerbsfähig.
Kurz gesagt: Der derzeitige Lärm über eine allgemein niedrigere Unternehmensbesteuerung ist völlig fehl am Platz. Das Gießkannen-Prinzip bringt nichts. Zielgenauer wäre es beispielsweise, wenn nachweisbar klimafreundliche Investitionen durch attraktive Abschreibungen steuerlich begünstigt würden. So lässt sich eine Steuerungs- und Lenkungswirkung erzielen.
Vor allem aber braucht es Geld für öffentliche Investitionen. Allein bei Städten und Gemeinden hat sich ein Investitionsstau über 150 Milliarden Euro gebildet. Öffentliche Investitionen in Klima- und Umweltschutz, Gesundheit und Bildung, ÖPNV und Wohnen setzen die richtigen Impulse für die Zukunft. Gleichzeitig ist ein Ausbau des Sozialstaats notwendig.
Zum einen heißt das, die Politik der Privatisierung und Deregulierung sowie der „Umverteilung von unten nach oben“ muss beendet werden. „Dazu muss der vorhandene Reichtum gerecht verteilt und das Gemeinwohl vor Profit gestellt werden“, heißt es in einem gemeinsamen Papier, das unter anderen vom DGB, Wohlfahrtsverbänden, dem Mieterbund und dem Kulturrat sowie dem Verband der Schriftstellerinnen unterzeichnet wurde.
Zum anderen müssen höhere Steuern zur Finanzierung der Investitionen und der höheren Sozialausgaben beitragen. Das bedeutet: Die Reichen müssen stärker in die Pflicht genommen werden, um öffentliche Armut zu überwinden. Fakt ist: Das private Nettovermögen ist mit 13 Milliarden Euro so groß wie noch nie. Das reichste Drittel der Bevölkerung besitzt zwei Drittel des Vermögens und „die Superreichen – das reichste 0,1 Prozent – ein Fünftel dieses Nettovermögens. Bei Vermögen und Erbschaften ist Deutschland eine Steueroase. Auch deshalb, weil zwischen 1998 und 2015 die reichsten 30 Prozent der Bevölkerung steuerlich entlastet wurden, während die unteren 70 Prozent mehr Steuern zahlen mussten.
Wir brauchen eine ökologisch und sozial gerechte Gesellschaft für alle. Im Kern geht es um eine Demokratisierung der Wirtschaft, das heißt die wirtschaftliche und damit auch politische Macht Einzelner konsequent aufzubrechen und in die Hände Aller zu legen. Nur wenn alle Menschen teilhaben und mitbestimmen können, werden ihre Bedürfnisse befriedigt und ihre Rechte gewahrt. Ohne demokratische Wirtschaft, keine demokratische Gesellschaft. Das setzt einen politischen Kurswechsel voraus. Der neugewählte Bundestag hat es in der Hand, alles dafür zu tun, Arbeitsplätze zu erhalten, unsere Sozialsysteme zu stärken und die Krisenkosten gerecht zu verteilen. Deshalb am 26. September wählen gehen, keine Stimme verschenken.
Autor: Otto König