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„Virus der Ungleichheit“

Oxfam, Gewerkschaften und Verbände fordern: extreme Ungleichheit und Armut bekämpfen

„Reicher Mann und armer Mann / standen da und sah’n sich an. / Und der Arme sagte bleich: / Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich“. Der Dichter Bert Brecht wollte damit zum Ausdruck bringen, dass es die Armut der einen ist, die den Reichtum der anderen schafft.

Tatsächlich verschärft das kapitalistische Wirtschaftssystem weltweit die soziale und wirtschaftliche Ungleichheit. Die Corona-Pandemie legt in gnadenloser Schärfe offen, dass die sozialen und wirtschaftlichen Unterschiede beträchtlich sind. Während die Reichen weltweit reicher werden, werden sozial benachteiligte Menschen stärker als bisher an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Zu diesem Ergebnis kommt die Nichtregierungsorganisation Oxfam in ihrem Bericht „The Inequality Virus“ („Virus der Ungleichheit“) zur Vermögensverteilung weltweit der.

„Die Krise zeigt wie unter einem Brennglas, wie sehr unser derzeitiges Wirtschaftssystem die Ungleichheit vertieft“, stellen die Autoren fest. Die tausend reichsten Milliardäre weltweit haben Anfang 2020, vor Corona, zusammen rund 9.000 Milliarden US-Dollar (rund 8.200 Milliarden Euro) besessen. Das Vermögen der im Dezember 2020 zehn reichsten Männer der Welt ist seit Februar 2019 – trotz Pandemie – um fast eine halbe Billion US-Dollar auf 1,12 Billionen US-Dollar gestiegen. Währenddessen stieg die globale Armut im Corona-Jahr an. Nach Berechnungen auf Basis von Weltbank-Daten sind 2020 wohl 100 bis 200 Millionen Menschen zusätzlich in tiefe Armut abgerutscht, müssen also mit weniger als 5,50 US-Dollar pro Tag auskommen. Weltweit herrscht die schlimmste Job-Krise seit über 90 Jahren, wovon Frauen am stärksten betroffen sind.

Für die Bundesrepublik nennt Oxfam folgende Daten: Im Februar 2019 gab es 114 Milliardäre, am 31. Dezember 2020 schon 116. Ihr Gesamtvermögen beläuft sich trotz wirtschaftlichen Einbrüchen auf 606,8 Milliarden US-Dollar. Die zehn reichsten Deutschen besaßen Ende 2020 zusammen 241,9 Milliarden US-Dollar – eine Steigerung von rund 35 Prozent in zwei Jahren. Diese Zahlen werden durch den im Januar vom DGB vorgelegten „Verteilungsbericht 2021“ bestätigt. (2) Deutschland steht international betrachtet „bei der Ungleichheit sehr schlecht da“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell bei dessen Vorstellung in Berlin.

Es sei erkennbar, dass vor allem ärmere Haushalte die Hauptlast der Corona-Krise tragen müssten, die relative Einkommenssituation der unteren Gruppen verschlechtere sich langfristig. Armut trotz Arbeit sei „kein Randphänomen, sondern ein gesellschaftliches Problem“: Jeder sechste abhängig Beschäftigte gelte derzeit als arm. Dazu gehörten vor allem Frauen, Berufseinsteiger und immer mehr ältere Menschen. Währenddessen konnten Superreiche trotz oder vielmehr wegen Corona ihr Vermögen vermehren.

Die Vermögenskonzentration ist im internationalen Vergleich sehr hoch. Das Vermögen der Milliardäre in Deutschland beläuft sich derzeit auf 492 Milliarden Euro. Auch die Zahl der Millionäre rangiert auf einem Allzeithoch. Das gesamte Nettovermögen in Deutschland hat sich seit der Jahrtausendwende fast verdoppelt. Allerdings sind die Vermögen „extrem ungleich verteilt“. Die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung verfügen über 65 Prozent, das wohlhabendste ein Prozent über mehr als 30 Prozent des Gesamtnettovermögens. Die Ärmeren bis hin zur unteren Mittelschicht leiden derweil unter wegbrechenden Einkommen und Aufträgen, steigenden Mieten und teils mangelhafter medizinischer Versorgung.

In Deutschland hat wegen der wachsenden Armut ein einmalig breites Bündnis von 36 Gewerkschaften und Sozialverbänden Alarm geschlagen. Die Unterzeichner werfen der Bundesregierung einen „armutspolitischen Offenbarungseid“ vor. Schon im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 habe es zusätzlichen Bedarf „durch wegfallende Schulessen, steigende Lebenshaltungskosten und insbesondere auch für Desinfektionsmittel und Masken“ gegeben. Auf die fürs Lernen zu Hause versprochenen Laptops warteten „die Kinder vielfach noch heute“, während Milliardenbeträge für Unternehmen bereitgestellt worden seien.

In ihrem Aufruf „Soforthilfen für die Armen – jetzt!“ (3) fordern sie eine zügige Anhebung der Hartz-IV-Regelsätze und der Altersgrundsicherung auf mindestens 600 Euro monatlich. Nötig seien Corona-Hilfen für Bedürftige in Höhe von 100 Euro pro Monat für die Dauer der Pandemie. Darüber hinaus sei die Finanzierung eines internetfähigen Computers sowie notwendiger Software für benachteiligte Kinder als einmalige Leistung sicherzustellen, die für die Nutzung der digitalen Bildungsangebote der Schulen notwendig sind. Miet- und Kreditmoratorien müssten erneuert werden, um Mieter vor Wohnungsverlust zu schützen. „Wir erwarten von dieser Bundesregierung ohne Wenn und Aber und ohne weitere Ausflüchte, dass sie endlich auch etwas für die Armen tut, das wirklich Substanz hat“, erklärte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, Ulrich Schneider

Oxfam sieht die Covid-19-Pandemie und deren Folgen als einen Weckruf, extreme Ungleichheit und Armut endlich bei der Wurzel zu packen. Als Hauptursache für die wachsende Ungleichheit benennt die Organisation das aktuelle Wirtschaftssystem, das vor allem auf Gewinnmaximierung ausgerichtet sei. Sie fordert deshalb einen Umbau des Wirtschaftssystems, das die Macht und den Einfluss großer Konzerne reduziert, an dem Beschäftigte, Erzeuger und Verbraucher*innen politisch und wirtschaftlich gleichberechtigt teilhaben. Der Schlüssel liegt in einer Demokratisierung der Wirtschaft, das heißt, die Entscheidungsmacht muss breit geteilt werden und darf sich nicht bei einigen wenigen konzentrieren. Ohne demokratische Wirtschaft wird es keine gerechte und demokratische Gesellschaft geben.

Autor: Otto König

Anmerkungen:
(1) „Das Ungleichheitsvirus“, Wie die Corona-Pandemie soziale Ungleichheit verschärft und warum wir unsere Wirtschaft gerechter gestalten müssen, OXFAM Deutschland, Januar 2021
(2) DGB Verteilungsbericht 2021: „Ungleichheit in Zeiten von Corona“, Januar 2021
(3) Aufruf „Soforthilfen für die Armen – jetzt!“Hier steht der  Aufruftext als PDF zum Download bereit.

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