
Hattingen. „30 Jahre Kampf um die Henrichshütte“, lautete das Thema im Arbeitskreis der Hattinger IG Metall-Senioren. „Was soll ich euch denn berichten“, fragte der Referent Otto König, der ehemalige Bevollmächtigte der IG Metall-Hattingen zu Beginn des Treffs. „Ihr wart doch alle selbst in der Auseinandersetzung um den Erhalt der Hütte aktiv.“
Die Kolleginnen und Kollegen hatten sich im evangelischen Gemeindezentrum versammelt, unter ihnen die Stahlwerker Heinz und Peter, der Walzwerker Günter, der Elektriker Karl-Ferdi, der Schlosser Ulli, der Arbeitsvorbereiter Wolfgang, der Dreher Richard, die Technische Zeichnerin Jutta und der Angestellte Hans – die ehemaligen Vertrauensleute und Betriebsratsmitglieder der Hütte konnten sich an die vielfältigen und phantasievollen Aktionen in dem langen Kampf in 1987 erinnern.
Als sie im Januar bei minus 20 Grad von der Hütte über Welper zum Untermarkt marschierten. Im März gemeinsam mit 30.000 Menschen auf dem Rathausplatz an der machtvollsten IG Metall-Kundgebung in der Geschichte der Stadt Hattingen teilnahmen. Vier Wochen später bildeten sie mit 5000 Stahlarbeitern und Bürgern eine Menschenkette von der Ruhrbrücke bis zur Kosterbrücke. Sie waren mit den Autocorsen nach Düsseldorf und Bonn unterwegs, im „Dorf des Widerstands“ dabei und sperrten am „Ruhrgebiets-Aktionstag“ die Zufahrtstrassen nach Hattingen.
Zuvor hatte Kollege König die einzelnen Phasen der Entwicklung in der Stahlindustrie seit den 1950er-Jahren bis heute dargestellt: Wiederaufbau nach dem Krieg, Produktionseinbruch in der Wirtschaftskrise 1974/75, Abbau der Kapazitäten in den 1980er-Jahren, Beginn der Fusionen in den 1990er-Jahren bis zur heutigen geplanten Fusion ThyssenKrupp mit dem indischen Stahlunternehmen Tata. Es war zugleich die Geschichte eines massiven Arbeitsplatzabbaus: 1970 waren in der Stahlindustrie noch 374.000 Arbeiter und Angestellte beschäftigt, Ende 2016 nur noch 86.000. Jetzt drohen weitere Arbeitsplatzverluste bei ThyssenKrupp.
Politik auf Trapp gebracht – Massenentlassungen verhindert
Der ehemalige IGM-Bevollmächtigte zeichnete, unterstützt von den Teilnehmern, den Weg der Henrichshütte in die Krise bis zur Stilllegung Ende 1987 nach. Schilderte die Aufnahme des Kampfes im Jahr 1983 gegen die geplante Stilllegung der 2,8 Meter-Grobblechstraße. Allein durch diese Maßnahme sowie den Abbau der „kontinuierlichen Fahrweise“ und Umstellung auf Dreifach-Schicht am Hochofen und Stahlwerk, die Stilllegung Schneidbetrieb im Kümpelbau und Rationalisierungsmaßnahmen in der Weiterverarbeitung sowie Personalabbau im Angestelltenbereich seien von 1982 bis Oktober 1986 allein rund 2.600 Arbeitsplätze vernichtet worden. Bevor am 19. Februar 1987 Thyssen-Chef Heinz Kriwet die Stilllegung der Hütte und den Abbau von weiteren 2.900 Arbeitsplätzen verkündete
Der Tenor in der Debatte war eindeutig: Durch unseren Kampf haben wir die Politik auf Trapp gebracht z.B. „Kanzlergespräche“ erzwungen, Massenentlassungen durch die „Bonner Regelung“ verhindert und dafür gesorgt, dass das Land NRW im Rahmen der „Zukunftsinitiative Montanindustrie“ (ZIM) mit einer dreistelligen DM-Millionensumme die Stadt Hattingen gestützt hat. „Ja, der vom Betriebsrat und der IG Metall ausgehandelte Sozialplan ist gut gewesen“, antwortete Hans auf eine Frage des ehemaligen O&K’ler Heinz. Dennoch – die Arbeitsplätze für die nachkommenden Generationen seien weg gewesen.
„Deshalb habe wir so vehement für die Einrichtung einer „Beschäftigungsgesellschaft“ zur Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen gekämpft“, sagte Otto König. Viele KollegInnen wurden damals nach Duisburg und Krefeld oder wie Wolfgang nach Witten versetzt. Die ersteren mussten lange Fahrtzeiten auf sich nehmen. Jüngere wie Karl-Ferdi schieden mit Abfindung aus und mussten weitere Stilllegungen in ihrem Arbeitsleben erleben – erst die Gießerei Koch in Sprockhövel, dann die Gießerei Stockey & Schmitz in Ennepetal. Ausländische KollegInnen kehrten mit der Abfindung und einer Rückkehrprämie der Bundesregierung in die Heimatländer zurück.
Erfahrungen auch für heutige Kämpfe wichtig
Dass die damaligen Erfahrungen auf für die heutigen Kämpfe der StaharbeiterInnen bei ThyssenKrupp oder auch bei Siemens wichtig sind, darauf wies Jakobus in der Diskussion hin.
Und wie „wichtig die Solidarität ist“, merkte Heinz an, der mit den O&K’lern bei Mönninghoff, der Hütte und den Bergbauzuliefern in Sprockhövel dabei war. Alle waren sich einig: Ohne ihre Organisation – die IG Metall – wäre dieser Kampf nicht geführt worden. „Entscheidend war jedoch“, fügte Otto König hinzu, dass die „Betriebsräte, Jugendvertreter und Vertrauensleute die Beschäftigten mobilisiert“ haben und über das Bürgerkomitee „Hattingen muss leben“ die BürgerInnen in der Region in den Kampf einbezogen werden konnten.
Foto: IG Metall-Senioren im ev. Gemeindezentrum in Hattingen – Foto: IGM GH