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„Wabtec wird abgewickelt“

Bochum: Wabtec wird abgewickeltInteressenausgleich und Sozialplan unterzeichnet

„In den Sozialplanverhandlungen konnten wir unsere Forderungen weitestgehend durchsetzen“, sagt die Betriebsratsvorsitzende Tanja zum Dohme. Dem Betriebsrat gelang es den bestehenden gut dotierten Sozialplan bis 2030 zu verlängern, die Einrichtung einer Transfergesellschaft ab 1. August für alle vom Arbeitsplatzverlust Betroffenen zu vereinbaren und eine Beschäftigungssicherung für die am Standort Verbleibenden festzuschreiben. „Wir haben aus der Belegschaft viel Zustimmung für das Verhandlungsergebnis erhalten“, betont die IG Metallerin. Doch allen sei klar, die besten „sozialverträglichen Regelungen“ würden nicht die vernichteten Arbeitsplätze ersetzen. Ende des Jahres 2023 endet die Produktion in Bochum.

Wie eine Bombe schlug im Herbst vergangenen Jahres die Hiobsbotschaft ein, dass die Konzernspitze der US-Wabtec Corporation im fernen US-amerikanischen Wilmerding entschieden habe, die Produktion am Bochumer Standort bis spätestens Ende 2023 an andere Wabtec Standorte zu verlagern, und von den derzeit ca. 300 Beschäftigten ca. 200 zu entlassen.

Hiobsbotschaft schlug wie eine Bombe ein

Keiner wollte die Nachricht zunächst so richtig glauben: Hatten die Kolleginnen und Kollegen doch noch die salbungsvollen Ausführungen von Dr. Christopher Antes, Präsident des Geschäftsbereichs Transit Brakes & Safety, beim Spatenstich im Februar 2020 im Ohr: „Wir freuen uns, mit dieser neuen Anlage (…) unsere langjährige Erfahrungen in Deutschland zu nutzen, um bahnbrechende Technologien für die von uns belieferten Branchen zu entwickeln.“ Im Frühjahr 2022 wurde der Umzug von Witten in das neugebaute Werk auf dem ehemaligen Opel-Gelände bewerkstelligt. Und „auch die letzten Umsatzrenditezahlen geben für diese Entscheidung keine Begründung her“, erklärte damals Mathias Hillbrandt, 2. Bevollmächtigter der IG Metall Ennepe-Ruhr-Wupper.

Nach internen Beratungen im Betriebsrat gemeinsam mit der IG Metall kristallisierte sich schnell heraus, dass die Begründung des Konzerns „strategische Überlegungen und Kostenanalysen“ hätten ergeben, dass der Standort in Bochum „dauerhaft am wenigsten wettbewerbsfähig“ sei, nur das tatsächliche Ziel „die Renditemarge auf dem Rücken der Beschäftigten nach oben zu treiben“ übertünchen sollte, so Tanja zum Dohme. Von daher sei für die Interessenvertretung und die Belegschaft klar gewesen: „Die geplante Kahlschlagsanierung können und werden wir nicht widerstandslos akzeptieren“. Das 9-köpfige Betriebsratsgremium beschloss, den Ökonomen Prof. Heinz-J. Bontrupzu beauftragen, ein Gutachten zu den Konzernplänen zu erstellen und Alternativen zur Verlagerung zu entwickeln. Die Beschäftigten unterstützten diese Arbeit mit Aktionen vorm Tor und mit kämpferischen Betriebsversammlungen.

Sollte am Standort Bochum ein Exempel statuiert werden?

Das Gutachten des Wirtschaftswissenschaftlers Heinz-Josef Bontrup bestätigte die Annahmen der betrieblichen und gewerkschaftlichen Interessenvertretung, dass es keine „plausible wirtschaftliche Begründung“ für die Schließung des Bochumer Werkes gibt. Die Argumentation des Wabtec-Managements, von wegen in Italien seien die Lohnkosten deutlich geringer, greife zu kurz. Schließlich seien nicht allein die Lohnstückkosten entscheidend, sondern wichtiger seien Faktoren wie Produktivität sowie Mehrwert und diese sind in Bochum wesentlich höher. Sein Fazit: „ Die geplante Verlagerung von Arbeitsplätzen ist mit „der heißen Nadel“ gestrickt, und wird womöglich dem Konzern mehr schaden als nutzen.“

„Wir haben dieses Gutachten den verantwortlichen Entscheidungsträgern zugeschickt. Doch keiner war bereit sich mit den ausgearbeiteten Alternativen ernsthaft auseinanderzusetzen“, kritisiert die Betriebsratsratsvorsitzende das Management. „Wir hatten keine Chance darzulegen, dass unsere Alternativen zum Standorterhalt „Hand und Fuß“ hatten, gegenüber der Verlagerung und dem damit einhergehenden Stellenabbau. Wir bekamen zunehmend den Eindruck, dass an uns ein Exempel statuiert werden sollte“. Schließlich sei ja bekannt, dass die US-Amerikaner auf „hire and fire“ setzen und deshalb „Probleme mit der deutschen Mitbestimmung“ haben.

„Wir würden wieder so vorgehen“

Die strikte Verweigerungshaltung des Managements über Alternativen zum Standorterhalt zu sprechen und entsprechende Signale aus der Belegschaft führten schließlich dazu, dass der Betriebsrat im Frühjahr die Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan aufnahm. In fünf Phasen soll die Bochumer Produktion bis Ende 2023 nach Italien und Indien verlagert werden. Die ersten Prüfstände und die ersten Maschinen wurden bereits abtransportiert. Rund 210 Wabtectianer*innen, viele von ihnen schon über 20 Jahre dabei, verlieren in diesem oder im nächsten Jahr endgültig ihren Arbeitsplatz. Nur rund 76 Angestellte verbleiben am  Standort Bochum und betreiben von hier das Neubaugeschäft und den Customer Service der DACH-Region (Deutschland, Österreich und die Schweiz). Dies umfasst u.a. den Vertrieb, das Projekt-Management, und den Engineering-Bereich.

„Auf die Erfahrungen, auf vielen Debatten, die wir in den zurückliegenden Monaten gemacht haben bzw. führen mussten, hätte ich gerne verzichtet“, resümiert Tanja zum Dohme die vergangenen Monate. Stellt jedoch gleichzeitig fest: „Wir würden wieder so vorgehen. Auch wenn wir den Arbeitsplatzerhalt nicht durchsetzen konnten, haben wir mit Unterstützung unseres Gutachters, unserer Juristin und der IG Metall gute Regelungen für unsere Kolleg*innen treffen können.“  Doch wo „Gier“ das Motiv für das operative Geschäft des Management ist, bleibt die Vernunft auf der Strecke.

Autor: Otto König

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