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Waffen-Wahnsinn: 1.981.000.000.000 US-Dollar

Sipri-Report – trotz Pandemie steigen Militärausgaben weltweit

Seit über einem Jahr hält das Covid-19-Virus die Menschheit in Atem. Mehr als drei Millionen Pandemie-Tote sind bislang weltweit zu beklagen. Die wirtschaftlichen Auswirkungen sind enorm, die Einschränkungen für die Bevölkerung zunehmend unerträglich, doch eine Branche boomt – die Rüstungsindustrie.

Angesichts der zunehmenden geopolitischen Rivalitäten versanden Friedens-Initiativen. Stattdessen sind die Aufwendungen für die Streitkräfte trotz Pandemie und den damit verbundenen horrenden Kosten global um rund 2,6% auf 1.981 Milliarden US-Dollar (rund 1.644 Milliarden Euro) gestiegen, so das schwedische Friedensforschungsinstitut Sipri in seinem »World Military Expenditure«-Report.[1]

Seit Beginn der Datenerfassung durch Sipri im Jahr 1988 ist dies der höchste Betrag. Zum Vergleich: Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen brachte im Jahr zuvor acht Milliarden US-Dollar zusammen. Mit diesen Mitteln unterstützte die Organisation 97 Millionen Menschen in 88 Ländern. Trotzdem hungern weltweit 690 Millionen Menschen und zwei Milliarden leiden an Mangelernährung. Unberührt davon sind die Rüstungsausgaben um 2,6% im Vergleich zu 2019 gestiegen, während das weltweite Bruttoinlandsprodukt (BIP) laut Internationalem Währungsfonds (IWF) durch die Coronakrise um 4,4% gesunken ist. Damit erreichen die globalen Rüstungsausgaben das Niveau der 1980er Jahre – der späten Ära des »Kalten Krieges«.

Der Aufruf von UN-Generalsekretär António Guterres im Frühjahr des vergangenen Jahres, die Weltgemeinschaft solle sich auf eine globale Waffenruhe verständigen, um sich auf die Bekämpfung der Corona-Pandemie konzentrieren zu können, verhallte ungehört. Nur wenige Länder wie zum Beispiel Chile oder Südkorea haben Rüstungsausgaben zugunsten der Pandemie-Bekämpfung umverteilt. Brasilien und Russland schraubten ihre Militärbudgets – im Vergleich zu den vorherigen Planungen – ein wenig zurück. Schweden dagegen kündigte trotz Pandemie eine Erhöhung der Rüstungsausgaben um 40% an.

Dieser ungebrochene Militarisierungstrend zeigt die wahren Prioritäten der Regierenden: Trotz schrumpfender Wirtschaft und gestiegener Staatsverschuldung sind die Rüstungsausgaben gewachsen. Die mit Abstand größten Militärausgaben entfallen auf die Weltmacht USA. Die Trump-Aministration hatte in ihrem letzten Regierungsjahr 778 Milliarden US-Dollar für die Streitkräfte ausgegeben, was einem Anstieg von 4,4% gegenüber 2019 entspricht. Auf die Vereinigten Staaten entfallen damit 39% der weltweiten Militärausgaben 2020.

Die USA haben damit fast dreimal so viel Geld für das Militär ausgeben wie ihre vermeintlichen Rivalen China und Russland zusammen. »Die jüngsten Erhöhungen der US-Militärausgaben lassen sich in erster Linie auf hohe Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie mehrere langfristige Projekte wie die Modernisierung des US-Atomwaffenarsenals und die Beschaffung von Waffen in großem Umfang zurückführen«, erläutert Sipri-Forscherin Alexandra Marksteiner.

In der Rangliste folgen auf die USA die beiden bevölkerungsreichsten Länder der Erde: Chinas Ausgaben werden von Sipri auf 252 Milliarden (+ 1,9% zum Vorjahr), die von Indien auf 72,9 Milliarden Dollar (+ 2,1% zum Vorjahr) geschätzt. Das Institut erklärt die Ausgaben Chinas mit dessen ambitionierten Modernisierungsplänen. Russland auf dem vierten Platz steigerte seine Militärausgaben auf 61,7 Milliarden US-Dollar, was einen Zuwachs von 2,5% im Vergleich zu 2019 bedeutet. Die addierten Etats von China und Russland ergeben 314 Milliarden Dollar: das sind 16% der Welt-Militärausgaben.

Es folgen Großbritannien (59,2 Mrd.) und Saudi-Arabien (57,5 Mrd.) – und dann kommt auch schon Deutschland, das knapp vor Frankreich auf der Ranking-Liste liegt. Die 28 europäischen NATO-Mächte bringen es zusammen auf 301 Milliarden Dollar (15% Weltanteil. Das ist fast das Fünffache der russischen Militär-Etats (61,7 Mrd.). Insgesamt stehen die Mitglieder des NATO-Bündnisses mit 1,103 Milliarden Dollar für 55% der weltweiten Ausgaben. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg triumphierte: »2020 markierte das sechste Jahr in Folge mit wachsenden Militärausgaben … mit einem realen Anstieg von 3,9% von 2019 bis 2020«. Zu Recht stellt sich die Frage: Wer bedroht hier wen?

Deutschland erhöhte seine Militärausgaben so stark wie kein anderer »Top-Ten«-Staat und rückte unter den größten Ausgabenationen von Platz 8 auf Platz 7 vor – bzw. auf Platz 3 unter den NATO-Militärmächten. Nach Sipri-Berechnungen legte Deutschland 2020 beim Rüstungsetat um 5,2% auf geschätzte 52,8 Milliarden Dollar zu. Die Ausgaben sind seit 2011 um 28% gestiegen, ihr Anteil am BNP erhöhte sich in diesem Zeitraum von 1,2 auf 1,4%.

Die Steigerung geht vor allem auf die Erhöhung des investiven Anteils des Rüstungshaushalts zurück: Höhere Ausgaben für Forschung, Entwicklung und Erprobung neuer Waffensysteme wie neue Kampfpanzer, Radarsysteme, Drohnen und neue Kriegsschiffe. Während das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt in der 2020er Corona-Krise um 4,7% zurückging, schwärmte der Chef der Waffenschmiede Rheinmetall, Armin Papperger, vom einem »Super-Zyklus« bzw. einer »Super-Konjunktur für die Rüstungsbranche«.

Branchenkenner verweisen darauf, dass die Militärs vor dem Hintergrund von Weiterentwicklungen in der Rüstungstechnik noch mehr Geld fordern werden. Anfang des Jahres preschte die Oberbefehlshaberin der Bundeswehr und oberste Rüstungslobbyistin, Annegret Kramp-Karrenbauer, verbal schon mal vor: »Wenn wir über große Rüstungsprojekte reden, reden wir auch über nationale Industriepolitik.« Es mache keinen Sinn, mit großen Konjunkturpaketen die Wirtschaft zu stabilisieren und »nun dort, wo der Staat etwa im Bereich Rüstung selbst Auftraggeber ist«, Aufträge zurückzuziehen, sodass »Arbeitsplätze gefährdet sind.«

Entsprechend übermittelte das Verteidigungsministerium dem Bundestag Anfang Februar 2021 eine Liste mit 51 »25-Millionen-Vorlagen«, die noch vor der Bundestagswahl im September verabschiedet werden sollen. Dabei handelt es sich um Rüstungsprojekte, die den genannten Betrag überschreiten und aus diesem Grund noch einmal gesondert vom Haushaltsausschuss bewilligt werden müssen.

Auf dieser Liste findet sich auch die nächste Projektphase des »Future Combat Air Systems« (FCAS), ein Luftkampfsystem, dessen wichtigste Komponente ein neues Kampfflugzeug darstellt, das auch von unbemannten, teilweise bewaffneten Drohnen begleitet werden soll (Handelsblatt, 3.2.2021). Damit soll noch vor dem Ende der Legislaturperiode eine weitere wichtige Hürde für das »größte europäische Rüstungsprojekt« genommen werden.

Das FCAS gilt als Kernprojekt bei den deutsch-französischen Bestrebungen, einen von ihnen dominierten europäischen Rüstungskomplex aufzubauen. Auf den Weg gebracht wurde das FCAS beim Treffen des deutsch-französischen Ministerrates 2017. Nach der Unterzeichnung eines Auftrags durch die beiden damaligen Verteidigungsministerinnen Ursula von der Leyen und Florence Parly im Februar 2019 über 65 Millionen Euro (jeweils 32,5 Mio. für beide Länder) für die Erstellung einer ersten Konzeptstudie wurde ein Jahr später ein Vertrag unterzeichnet, mit dem das Projekt offiziell in Phase 1A eintrat und weitere 150 Millionen Euro bewilligt wurden.

Damit wurde der Startschuss für die Entwicklung eines »Demonstrators« gegeben, mit dem die grundsätzliche Machbarkeit des ambitionierten Systems unter Beweis gestellt werden soll. Vermutlich im Juni dieses Jahres sollen weitere Gelder losgeeist werden, um das Programm zügig in die Projektphase 1B hieven zu können.[2]

Aktuell treibt die »Sicherheitscommunity« die Sorge um, durch Corona bedingt könnte es zu Einschnitten im Verteidigungshaushalt und damit auch zu Engpässen bei den Budgets geplanter Großprojekte wie dem FCAS kommen. Im rüstungsnahen Behördenspiegel hieß es: »Die Pandemiefolgen werden in allen Ressorts Begehrlichkeiten wecken. Zumindest in der Vergangenheit hat sich häufig gezeigt, dass bei ›Haushaltsschlachten‹ gerade das BMVg nicht immer über die stärksten Bataillone verfügte… Insbesondere große multinationale Beschaffungsvorhaben wie FCAS und MGCA werden sicher finanziell und zeitlich gestreckt werden müssen.« Noch ist in Sachen FCAS das letzte Wort nicht gesprochen, dennoch ist wohl damit zu rechnen, dass die Gelder für die nächste Projektphase noch vor den Wahlen bewilligt werden.

Und nach der Bundestagswahl werden die Rüstungsprojekte an einer möglichen »schwarz-grünen« oder »grün-schwarzen« Bundesregierung nicht scheitern. Die frisch gekürte Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, ist in diesen Fragen auf einer Wellenlänge mit der Rüstungsministerin Kramp-Karrenbauer: Beide wollen nicht nur gegen China und Russland »mehr Härte zeigen«, sondern angesichts der Corona-Krise auch kein starres 2%-Aufrüstungsziel mehr. »Wir müssen erst über eine strategische Neuaufstellung sprechen, dann über die Ausgaben. Es muss auch um die Fähigkeiten der NATO und die konkrete Lastenverteilung gehen. Ein theoretisches 2%-Ziel hilft da nicht wirklich weiter«, sagte Baerbock Ende vergangenen Jahres.

»Europäische strategische Souveränität bedeutet, die Grundlagen dafür zu schaffen, die Werte der Europäischen Union … in der verflochtenen und komplexen Welt bewahren und europäische Interessen verfolgen zu können«, plädiert beispielsweise die grüne Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner vehement für die Entwicklung des Luftkampfsystems. Und ihr Kollege, der verteidigungspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Tobias Lindner, hat einen Vorschlag für den Fall, dass besonders teure Rüstungsvorhaben krisenbedingt unter Legitimationsdruck geraten. Demnach soll der Deutsche Bundestag alle zehn Jahre ein »Verteidigungsplanungsgesetz« verabschieden, in dem er »die zehn bis 15 wichtigsten Beschaffungsvorhaben der Bundeswehr festlegt«. Deren Finanzierung werde damit »eine gesetzliche Aufgabe«, die nicht mehr ohne weiteres zur Disposition steht (FAZ, 23.2.2021).

Statt das militärische Megaprojekt zu fördern, sollten die Gelder besser in zivile Jahrhundertprojekte gesteckt werden wie die Beseitigung von Hunger und Fluchtursachen, zur Qualifizierung sowie zum Abbau sozialer Ungleichheit. Eine Umkehrung der gegenwärtigen Trends in der Rüstungspolitik würde Ressourcen freisetzen, um die wirklichen globalen Probleme (Pandemie, Klimawandel, Armut) konkret anzugehen.

Autoren: Otto König, ehemaliger 1. Bevollmächtigter der IG Metall (Hattingen) und Richard Detje, Mitarbeiter von WISSENTransfer  (Hamburg)

Anmerkungen

[1] Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI): Weltweite Militärausgaben steigen auf fast 2 Billionen Dollar im Jahr 2020, Stockholm, 26.4.2021.
[2] Siehe auch Jürgen Wagner: Future Combat Air System Das größte Rüstungsprojekt Europas. IMI-Studie 4/2021.

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