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„Weder Fluch noch Segen“

Im Schatten der Coronakrise präsentierte die schwarz-rote Bundesregierung Ende März den Bericht der Kommission „Verlässlicher Generationenvertrag“ vor. Vor zwei Jahren hatte eine zehnköpfige Expertenrunde aus Vertreter*innen der Regierungsparteien sowie der Gewerkschaften, Arbeitgeber und Ökonomen die Arbeit aufgenommen mit dem Ziel, Rentenreformvorschläge für die Zeit nach dem Jahr 2025 zu erarbeiten. Wer jedoch in dem Bericht Reformperspektiven zur Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung sucht, stellt ernüchtert fest: die Kommission kreißte und gebar eine rentenpolitische Maus.

Die demografische Entwicklung in Deutschland werde zu einer „erheblichen finanziellen Mehrbelastung“ in der gesetzlichen Rentenversicherung führen, heißt es in dem Abschlussbericht. Das liegt daran, dass die Generation der Babyboomer in Rente geht, während gleichzeitig die Zahl der Jüngeren deutlich zurückgeht, die Rentenbeiträge zahlen. Für die nächsten Jahrzehnte müsse deshalb „das Finanzierungsgefüge neu justiert werden“, heißt es weiter. Ein dauerhaft verlässlicher Generationenvertrag verlange „die ausgewogene finanzielle Beteiligung aller“, also von Beitragszahlern, Steuerzahlern und Rentnern.

Der Bericht der Rentenkommission leuchtet einige Pfade zu einem zukunftsfähigen Rentensystem aus, bleibt aber bei zentralen Aspekte greifbare Lösungen für die arbeitenden Menschen schuldig. Es gibt kaum Vorschläge für eine solidarische Finanzierung der Rente. Ebenso wenig eine Antwort auf die Frage, wie künftige Rentnerinnen und Rentner ihren Lebensstandard im Alter einigermaßen halten können. Das vorgelegte Ergebnis sei „für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weder Fluch noch Segen. Manches wurde erreicht, einige unsoziale Katastrophen konnten die Gewerkschaften abwenden“, so das DGB-Bundesvorstandsmitglied Annelie Buntenbach. Und Hans-Jürgen Urban, im IG Metall-Vorstand für Sozialpolitik zuständig, stellt fest: „Der Geburtsfehler ist, dass die Rentenkommission primär nach den akzeptablen Kosten fragt und erst dann nach den Leistungen, die damit finanzierbar sind. Wir brauchen aber einen Richtungswechsel und müssen wieder stärker diskutieren, wie hoch ein akzeptables Rentenniveau sein müsste. So rum wird ein Schuh draus“,

Die zentralen Punkt des Berichtes der Kommission (1) lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Für das Rentenniveau und den Rentenbeitragssatz schlägt die Kommission jeweils einen Korridor vor. Demnach soll das Rentenniveau – das Verhältnis der Standardrente zum Durchschnittsverdienst aller Versicherten – künftig zwischen 44 und 48 Prozent liegen. Der Rentenbeitrag soll zwischen 20 und 24 Prozent betragen. Bis 2025 greifen die von der großen Koalition festgelegten Haltelinien von 20 Prozent für den Beitragssatz und von 48 Prozent für das Rentenniveau. Welche konkreten Grenzen künftig jeweils gelten, soll die Bundesregierung künftig in Sieben-Jahres-Schritten festlegen, erstmals für den Zeitraum 2026 bis 2032.
  • Um Rentner*innen Rentner zu schützen, soll der Abstand zwischen der „Standardrente“, also der Rente, die jemand mit einem Durchschnittseinkommen nach 45 Beitragsjahren erhält, und der Höhe der Grundsicherung überprüft werden. Je geringer dieser Abstand, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass die Politik das Rentenniveau nach oben anpassen muss.
  • Die schrittweise Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre soll erhalten bleiben. Über eine weitere Anhebung der Regelaltersgrenzen soll erst nach 2025 entschieden werden. Eine Entscheidung, ob die Arbeitnehmer*innen irgendwann doch länger arbeiten sollen, ist also nur aufgeschoben.
  • Da eine verlässliche Rentenpolitik auch „langfristige Orientierung und Sicherheitsversprechen“, brauche, sollten auch weiter alle 15 Jahre „perspektivische Haltelinien“ festgelegt werden.

 

Beim Thema „Rentenniveau“ hat das DGB-Bundesvorstandsmitglied Annelie Buntenbach, die die Gewerkschaften in der Kommission vertreten hatte, ein Sondervotum abgegeben. Die Botschaft: Es darf keine weiteren Rentensenkungen geben – das Niveau von heute 48 Prozent muss als definitive Untergrenze festgelegt werden, deshalb lehnen die Gewerkschaften einen Korridor beim Rentenniveau, der nach 2025 zwischen 44 und 49 Prozent liegen soll, unmissverständlich ab. Ein weiter sinkendes Leistungsniveau würde bedeuten, dass die Rente von Löhnen und Wohlstandsgewinnen abgekoppelt wird  und damit  Bezieher*innen unterer Einkommen vollends sozial abgehängt werden. Das betrifft insbesondere viele Frauen. „Die aktuell geltende untere Haltelinie von 48 Prozent war schon eine Korrektur früherer Reformen. Eine Unterschreitung wäre gänzlich inakzeptabel“, warnt Hans-Jürgen Urban. Die IG Metall fordert stattdessen eine schrittweise Anhebung auf 53 Prozent.

In dem Kommissionsbericht fehlen Vorschläge für einen starken Solidarausgleich und dafür, die Rentenversicherung zu einer Erwerbstätigenversicherung weiterzuentwickeln, Bildungszeiten anzuerkennen und die Situation derjenigen zu verbessern, die Erwerbsminderungsrenten erhalten. Dagegen zeigt die IG Metall in ihrem rentenpolitischen Konzept auf wie die „solidarische Finanzierung der Rentenversicherung“ funktionieren kann: alle Erwerbstätigen sollen in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen, also auch Ärzte, Anwälte, Beamte, Selbstständige und Abgeordnete. Die Einführung einer solidarischen Erwerbstätigenversicherung wäre ein echter rentenpolitischer Kurswechsel und ein großer Schritt in Richtung eines solidarischen Neuaufbaus der Alterssicherung, um Altersarmut zu verhindern und den Lebensstandard sichern.

Heftig umstritten war in der Rentenkommission auch die Frage, ob das gesetzliche Rentenalter weiter steigen soll. Vor allem die Wissenschaftler in der Expertenrunde plädierten dafür, die Altersgrenze nach dem Jahr 2031, wenn die Rente mit 67 erreicht ist, weiter anzuheben. Der als Lobbyist bekannte Wissenschaftler Axel Börsch-Supan von der TU München machte sich in einem Sondervotum dafür stark, das Rentenalter über 67 Jahre hinaus anzuheben, wenn die Lebenserwartung, wie anzunehmen ist, weiter steigt. Dass die Mitglieder der Kommission nach intensiver Beratung davon Abstand genommen haben, die Regelaltersgrenze an die durchschnittliche Lebenserwartung automatisch zu koppeln, ist nicht zuletzt dem erheblichen Widerstand der Gewerkschaften zu verdanken.

Zum jetzigen Zeitpunkt solle nicht über diese Frage entschieden werden, lautet nun der Kompromiss. Stattdessen soll im Jahr 2026 ein neu zu gründender Alterssicherungsbeirat eine Einschätzung abgeben, „ob und in welcher Weise die Anhebung der Altersgrenzen erforderlich und vertretbar“ sei. „Weiter so“, giftete wütend Hubertus Pellengahr von der von Gesamtmetall finanzierten Lobbyorganisation „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM), über die Verschiebung der Frage nach einer weiteren Erhöhung des Renteneintrittsalters.

Für die Gewerkschaften steht dagegen fest: Bereits das Renteneintrittsalter von 67 Jahren ist für die Mehrheit der Beschäftigten nicht erreichbar. Mehr als die Hälfte (55 Prozent) geht davon aus, dass sie ihren derzeitigen Beruf nicht bis 67 ausüben kann. Das zeigt eine repräsentative Umfrage des Berliner Kantar-Instituts im Auftrag der IG Metall. Ein noch höheres Rentenalter würde für die meisten Menschen nur eines bedeuten: „Noch höhere Abschläge und eine entsprechend geringere Rente“, sagt die IG Metall Bevollmächtigte Clarissa Bader. Der DGB und die IG Metall fordern deshalb ein erreichbares Renteneintrittsalter und flexible, sozial abgesicherte Übergänge in den Ruhestand.

Die Bundesregierung werde die Vorschläge der Kommission umgehend prüfen, kündigte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil nach der Vorlage des Gutachtens an. Auf Basis dieser Empfehlungen wolle er bis zum Herbst gesetzgeberische Vorschläge machen, die dann im Kabinett beraten werden sollen. Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften müssen sich in diesen Prozess weiterhin entschieden einmischen. Dabei geht es nicht nur darum, das Rentenniveau zu stabilisieren und im weiteren Schritt wieder anzuheben. Es geht auch darum, den Sozialausgleich zu stärken und Lücken bei den Übergängen in die Rente zu schließen. Klar ist auch, dass die Regelaltersgrenze nicht steigen darf. Der DGB und seine Gewerkschaften haben ihre rentenpolitischen Vorstellungen, die es nicht in den Kommissionsbericht geschafft haben, in einem eigenen Rentenbericht „Neue Sicherheit für alle Generationen“ (2) veröffentlicht.

Mit einem stabilen Rentenniveau ist die Rentenversicherung auch in Zukunft leistungsfähig und jeder Beitrag lohnt sich, gerade auch für die jungen Menschen. Ihrem Beitrag steht eine adäquate, verlässliche Leistung gegenüber. Und wichtig ist: sie müssen diesen Beitrag nicht allein schultern, da der Arbeitgeber die Hälfte des Beitrages tragen muss. Mehr Rente für mehr paritätisch finanzierten Rentenbeitrag ist dabei der deutlich bessere „Deal“ als weniger Rente für mehr Rentenbeitrag und zusätzlich selbst zu tragenden Beiträgen für private Vorsorge.

 

Anmerkungen

(1)Bericht der Kommission Verlässlicher Generationenvertrag. Kurzfassung, Berlin, März 2020

(2) Bericht zur Rentenpolitik in Deutschland: Neue Sicherheit für alle Generationen, Berlin: DGB-Bundesvorstand, Abteilung Sozialpolitik, März 2020

 

 

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