Wer zahlt den Lohn bei Quarantäne?

Das Coronavirus breitet sich aus. Das Robert Koch Institut in Berlin meldet bundesweit 240 bestätigte Fälle (Stand: 04.03.2020), schätzt jedoch die Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland aktuell „als mäßig“ ein. Also kein Grund zur Panik. Dennoch haben viele Beschäftigte Fragen: Zu arbeitsrechtlichen Fragen nimmt der Arbeitsrechtler Dr. Wolfgang Däubler in dem folgenden Interview Stellung. (Text Bund-Verlag). Die weiteren Informationen sind vom DGB-Rechtsschutz.
Welche Schutzmaßnahmen sollten Arbeitgeber ergreifen, um einer Ansteckung in Betrieben vorzubeugen?
Zunächst einmal geht das Leben im Betrieb und außerhalb des Betriebes wie gewohnt weiter; Angst ist kein guter Ratgeber. Der Coronavirus ist durchaus mit einem normalen Grippe-Virus vergleichbar – nur scheint man sich leichter anstecken zu können, und es fehlt an Medikamenten gegen den neuartigen Erreger. Man geht also das Risiko ein, sich eine Art Grippe einzufangen, bei der nur die Symptome wie z. B. hohes Fieber behandelt werden können. Das erhöht insbesondere für Personen mit geschwächtem Immunsystem das Risiko von gravierenden Komplikationen.
Man sollte sich daher generell vor Ansteckung schützen, indem man beispielsweise häufiger als sonst die Hände wäscht und übergroße körperliche Anstrengungen meidet. Auch Desinfektionsmittel (wie Sterillium) sollten im Betrieb verfügbar sein.
Was können Interessenvertretungen für den Gesundheitsschutz tun?
Sie können die Beschäftigten zu einem vorsichtigen Verhalten auffordern und außerdem den Arbeitgeber fragen, ob für den Fall vorgesorgt ist, dass jemand im Betrieb erkrankt.
Möglich ist auch, dass man plötzlich zu einem »isolierten« Bereich gehört, weil in der Nähe ein gravierender Verdachtsfall aufgetreten ist und einige Beschäftigte Kontakt mit der fraglichen Person hatten. Es kann also passieren, dass gegenüber ganzen Abteilungen eine »Quarantäne« verhängt wird. Auch kann der Betriebsrat bei Läden, Bankfilialen und anderen Einrichtungen mit Publikumsverkehr verlangen, dass »dicht gemacht wird«, wenn in der Nähe ein Fall mit Coronavirus aufgetaucht ist.
Das schließt nicht aus, dass die Beschäftigten weiter in den Betrieb kommen und solche Arbeiten erledigen, die keinen unmittelbaren Kundenkontakt erfordern.
Wie sieht es mit Dienstreisen aus? Sollte es hier einen Reisestopp in bestimmte Gebiete geben? Können Arbeitnehmer bestimmte Reisen verweigern?
Dienstreisen können im Grundsatz stattfinden. In Europa sowieso, nach China nur, wenn sie unbedingt notwendig sind. Die Lufthansa hat bis Ende März alle Flüge nach Peking eingestellt – auch sie rechnet also damit, dass es insoweit kaum mehr Passagiere geben würde. Soll man in ein Gebiet fahren, das wie bestimmte italienische Städte abgesperrt ist, hat die Dienstreise keinen Sinn mehr. Man könnte »nein« sagen. Warnt das Auswärtige Amt vor Reisen in ein bestimmtes Gebiet, so ist auch dies ein Grund. Auf der anderen Seite wäre es zumutbar, in eine chinesische Provinz zu fliegen, wo es überhaupt keine Corona-Fälle gibt.
Können besorgte Arbeitnehmer von zu Hause aus arbeiten?
Soweit es den betrieblichen Gepflogenheiten entspricht, auch von zu Hause aus arbeiten zu dürfen, sollten vorsichtige Menschen davon Gebrauch machen. Wo eine solche Möglichkeit bisher nicht besteht, kann man dennoch zu Hause arbeiten, wenn in derselben Stadt oder im selben Landkreis Infektionsfälle aufgetreten sind. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Arbeit zu 80 % oder gar zu 100 % von zu Hause aus erledigt werden kann und Besprechungen per Telefon oder Videokonferenz möglich sind. Auch gibt es Aufgaben, die warten können, bis sich das Gewitter verzogen hat.
Der Arbeitgeber muss insoweit Rücksicht nehmen; der Arbeitnehmer verletzt seine Pflichten nicht, wenn er von zu Hause aus arbeitet. Schwierig wird es nur, wenn wie bei einem Maschinenbediener oder einer Verkäuferin die Arbeit vor Ort erfolgen muss. Hier kann der Einzelne nur dann zu Hause bleiben, wenn eine unmittelbare Gesundheitsgefahr besteht. Meist wird dann sowieso eine Quarantäne verhängt. Die bloße Angst, derzeit könne man sich überall anstecken, reicht nicht aus.
In bestimmten Gebieten in Italien sind Betriebe bereits geschlossen worden, um eine weitere Verbreitung des Coronavirus zu verhindern. Wenn es auch in Deutschland dazu kommen sollte: Wie ist die rechtliche Situation für Arbeitnehmer? Muss der Arbeitgeber wegen Annahmeverzugs den Lohn weiterzahlen?
Hier greift das Infektionsschutzgesetz vom 20.7.2000 ein. Wird der einzelne Arbeitnehmer in Quarantäne genommen (also in einem Krankenhaus oder zu Hause von anderen »abgesondert« – wie das Gesetz sagt), so muss zwar der Arbeitgeber keine Vergütung mehr bezahlen, doch erhält der Betroffene nach § 56 des Gesetzes seinen Verdienstausfall vom Staat ersetzt.
Ist die Arbeit für den Einzelnen nicht mehr zumutbar, ohne dass gegen ihn eine Quarantäne verhängt würde, so greifen die Grundsätze über das Betriebsrisiko ein. Nicht anders, als wenn der Strom ausfällt oder Rohmaterialien nicht geliefert werden. Das Entgelt ist weiter geschuldet.
Kann bei Auftragsengpässen, die durch die Ausbreitung des Coronavirus verursacht werden, Kurzarbeitergeld beantragt werden? Was bedeutet das für die Betroffenen?
Ja, das wäre ein typischer Fall von »vorübergehendem Arbeitsmangel«. Daneben kann es auch passieren, dass ein anderer Betrieb wegen eines dort aufgetretenen Krankheitsfalls geschlossen wird und so Vorprodukte ausbleiben, die auf dem Markt kurzfristig nicht zu erwerben sind. Arbeitgeber und Betriebsrat können in solchen Fällen bei der Bundesagentur für Arbeit aktiv werden und Kurzarbeitergeld beantragen. Sobald es bewilligt ist, endet die Zahlungspflicht des Arbeitgebers nach der Lehre vom Betriebsrisiko.
Informationen der DGB-Rechtsschutz-GmbH
Kann ich selbst zu Hause bleiben, wenn ich keine Betreuungsmöglichkeit für meine Kinder habe?
„Wenn die Behörden Kindertagesstätten aufgrund der Virusgefahr schließen, ist dies für arbeitende Eltern natürlich ein Problem, weil ihre Kinder dann unter Umständen unbeaufsichtigt sind. Dies führt jedoch nicht dazu, dass sie ihrerseits der Arbeit fernbleiben können“, so der DGB Rechtsschutz.
„Es liegt insbesondere kein Fall der vorübergehenden Arbeit Verhinderung gemäß § 616 BGB vor. Dieser berechtigt die Beschäftigten nur, aus persönlichen Gründen der Arbeit fern zu bleiben. Eine Kita-Schließung betrifft aber gerade nicht nur den Einzelnen, sondern eine Vielzahl von Menschen.“
Auch ein Anspruch auf „Kind-krank“ bestehe nicht, sofern das Kind selbst nicht erkrankt ist. „Natürlich können Beschäftigte versuchen, kurzfristig Urlaub oder Überstunden frei zu nehmen. Eine kurzfristig anfallende Kinderbetreuung ist auf jeden Fall ein Grund, sodass der Arbeitgeber den Urlaub nicht ohne weiteres ablehnen kann. Dem kann aber der Urlaubswunsch anderer Beschäftigter entgegenstehen, deren Kinder ebenfalls ohne Betreuung sind.
Beschäftigten mit Kindern, die aufgrund einer Epidemie keine Betreuung haben, bleibt letztlich nur, die Situation offen mit dem Arbeitgeber anzusprechen und gemeinsam nach einer Lösung zu suchen. In erster Linie ist es aber Sache der Eltern, für die Betreuung zu sorgen.“
Darf ich zu Hause bleiben, weil ich befürchte, mich bei der Arbeit anzustecken?
Die Befürchtung vor Ansteckung allein reicht nicht aus, der Arbeit fernbleiben zu können. Beschäftigte dürfen der Arbeit nur fernbleiben, wenn sie tatsächlich arbeitsunfähig sind. Ansonsten sind sie zur Arbeit verpflichtet. Die reine Angst davor, bei der Arbeit oder auf dem Weg dorthin krank zu werden, führt also nicht dazu, dass man nicht zur Arbeit erscheinen muss.“
Muss mein Arbeitgeber Desinfektionsmittel und Ähnliches zur Verfügung stellen, um die Infektion am Arbeitsplatz zu verhindern?
Grundsätzlich hat der Arbeitgeber dafür zu sorgen, dass Verletzungs- und Erkrankungsrisiken im Betrieb so gering wie möglich sind. Er muss die erforderlichen Maßnahmen ergreifen. Hierzu kann auch das Bereitstellen von Desinfektionsmittel gehören. Was im Einzelfall erforderlich ist, hängt sehr davon ab, um was für ein Betrieb es sich handelt und welche Infektionsrisiken bestehen. Bei Betrieben mit Kundenkontakt in höherem Maße der Fall als in Betrieben ohne Kundenkontakt.
Darf der Arbeitgeber mich nach Hause schicken?
So, wie der Arbeitnehmer grundsätzlich zur Arbeit verpflichtet ist, muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer grundsätzlich beschäftigen. Solange er arbeitsfähig ist, muss und darf er im Betrieb tätig sein. Der Arbeitgeber darf ihn erst nach Hause schicken, wenn er der Meinung ist, dass der Arbeitnehmer nicht arbeitsfähig ist.
Auch eine Zwangsbeurlaubung unter Fortzahlung der Vergütung kommt grundsätzlich nicht in Frage. Urlaub und Überstundenabbau sind nur dann möglich, wenn der Arbeitnehmer dies beantragt, also nicht gegen dessen Willen. Entschließt sich der Arbeitgeber aus freien Stücken, den Betrieb vorübergehend zu schließen, kann er dies natürlich tun. Er muss dann aber das Entgelt weiterzahlen und darf auch nicht auf die Überstundenkonten zurückgreifen.
Darf mein Arbeitgeber mich fragen, woran ich erkrankt bin?
Der Arbeitgeber hat kein Recht darauf zu erfahren, woran ein Arbeitnehmer erkrankt ist. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung attestiert nur, dass der Beschäftigte seine Tätigkeit nicht ausüben kann und wie lange dies voraussichtlich dauern wird. Nur das ist für den Arbeitgeber maßgeblich.
Foto: Computersimulation des Coronavirus – NEXU Science Communication – Reuters