AktuellesArtikelPolitisches

Widerwärtiges Schmierentheater

CDU/CSU lassen im Bundesrat „Bürger“-Vorschläge der Ampel scheitern

CDU und CSU blockierten im Bundesrat das vom Bundestag beschlossen „Bürgergeld“-Gesetz der Ampelkoalition. Das unwürdige Schwarzer-Peter-Spiel, das den gegensätzlichen Abstimmungsergebnissen von Bundestag und Bundesrat nun folgt, wird im Vermittlungsausschuss fortgesetzt. Sollte bis zum nächsten Bundesratstermin am 25. November kein Kompromiss gefunden sein, wird das Bürgergeld nicht wie geplant am 1. Januar 2023 ausgezahlt werden können.

Mit parteipolitischen Spielchen bremsen die Unions-Politiker*innen eine dringend nötige Wende des Sozialsystems. Dabei geht es im Streit über das Bürgergeld noch nicht einmal ums Geld, also die Höhe der Regelsätze. Ihre Repäsentant*innen argumentieren, dass mit der geplanten Reform der Anreiz, arbeiten zu gehen, verloren geht. Sie fordern vor allem zwei Punkte: Mehr Sanktionsmöglichkeiten und weniger Schonvermögen. Bei Letzterem geht es darum, wie viel Erspartes Menschen behalten dürfen, wenn sie in die Arbeitslosigkeit rutschen. Die Begründungen, die zur Ablehnung dieser Reform angeführt werden, triefen vor Heuchelei und Zynismus.

Im Streit übers Bürgergeld haben die konservativen Unionspartien CDU/CSU und die ultrarechte AfD schon seit einiger Zeit eine zynische Sozialneid-Debatte entfacht, ausgetragen auf dem Rücken der Schwächsten. Po­litiker und Parteien, die im politischen Alltag die Vermögen der Kapitalseite schützen, hetzen Menschen mit wenig Geld gegen andere Menschen mit weniger Geld auf. Das von ihnen aufgeführte Schmierentheater, bei dem Leistungsempfänger*innen in Geiselhaft genommen werden, ist widerwärtig.

Im Netz kursieren grob vereinfachte Berechnungen, die das rechte Blatt Junge Freiheit produziert hat und die zuerst von AfD-Kreisverbänden, dann auch von Union und Arbeitgeberverbänden verbreitet wurden. Sie legen nahe, dass Arbeit sich nicht mehr lohnen würde. Das Bürgergeld senke die Motivation, eine Arbeit anzunehmen, so die Botschaften der schäbigen Schmutzkampagne. Mit dem Bürgergeld mache es „für eine größere Gruppe von Menschen überhaupt keinen Sinn mehr (…), sich einer regulären Beschäftigung im deutschen Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen“, tönt der Millionär, Ex-Blackrock-Vertreter und CDU-Chef Friedrich Merz.

Für CSU-Ministerpräsident Markus Söder ist das Bürgergeld schlichtweg unsozial. Entsprechend verbreitete die CSU in den sozialen Medien „Sharepics“ mit Rechnungen, wonach Menschen, die arbeiten, weniger Geld im Monat zur Verfügung haben als jene, die nicht arbeiten und Bürgergeld beziehen. „Wer nur auf die Regelsätze der Grundsicherung abstellt, argumentiert unseriös“, sagte der Sozialwissenschaftler Gerhard Bäcker dem epd über solche Rechnungen. Beschäftigte, die zum Mindestlohn von zwölf Euro arbeiten, hätten möglicherweise noch Anspruch auf Wohngeld, Kindergeld sowie Kinderzuschlag.

CDU/CSU und AfD arbeiten in der Debatte mit Fake-News. Die nachfolgende Grafik des DGB belegt: Richtig gerechnet, zeigt sich – Arbeit lohnt sich auf jeden Fall. Wir brauchen höhere Löhne, kein zu niedriges Bürgergeld!

Im Übrigen wer argumentiert, dass die viel bemühten „hart arbeitende Menschen“ mehr haben müssen als Arbeitslose, offenbart seine Realitätsferne. Denn etwa 24 Prozent der Hartz-IV-Leistungsempfänger*innen müssen aufstocken. Sprich: Sie arbeiten und haben dennoch zu wenig zum Leben. Fakt ist auch: CDU und CSU in der Vergangenheit nicht damit hervorgetan, Arbeitsbedingungen im Niedriglohnsektor zu verbessern.

Entgegen den Behauptunen der Konservativen und Rechten soll gerade mit dem Bürgergeld den betroffenen Menschen ermöglicht werden, einen Arbeitsplatz jenseits des Niedriglohn-sektors zu finden. So gegrüßte der DGB unter anderem, dass geplante Weiterbildungsgeld, das  Hilfebedürftigen gezahlt werden soll , wenn sie an einer Weiterbildung teilnehmen, die zu einem Abschluss führt.

Die Zeit drängt: Millionen Menschen warten auf eine Anpassung der Hartz-IV-Regel an die rasant steigenden Kosten warten, Dabei ist der beschlossene neue Bürgergeldsatz weiterhin so niedrig, dass er angesichts aktueller Preisentwicklungen für ein menschenwürdiges Leben nicht ausreichen wird. Ab 2023 soll es 502 statt bisher 449 Euro geben. „Die geplante Erhöhung des Regelsatzes um 53 Euro auf 502 Euro reicht vorne und hinten nicht. Sie ist lediglich ein Inflationsausgleich. Ohne Erhöhung auf armutsfeste 650 Euro ist das Bürgergeld kein soziales Fortschrittsprojekt, so der ver.di-Chefökonom Dierk Hirschel.

Und weil die Ampel mit dem Bürgergeld ein bisschen Abstand vom Psychoterror des Hartz-IV-Regimes nimmt, betreiben Unionspolitiker Fundamentalopposition. Leistungsberechtigte sollen künftig in den ersten sechs Monaten außer bei Meldeversäumnissen nicht sanktioniert werden, danach können höchstens 30 Prozent gekürzt werden. Schließlich ist der Entzug von Leistungen, die ja ohnehin kaum ein Existenzminimum abdecken, entwürdigend. In den ersten beiden Jahren soll man in seiner Wohnung wohnen bleiben können, unabhängig von Größe und Kosten. Auch größere Schonvermögen sind erlaubt, 60.000 plus 30.000 Euro für jedes weitere Haushaltsmitglied. „Obwohl das Bürgergeld gegenüber Hartz IV mancherlei Verbesserungen und Erleichterungen für Arbeitsuchende mit sich bringt, ist zu bezweifeln, dass es „Faulenzertum“, „Drückebergerei“ und „Sozialschmarotzertum“ fördert“, so der Armutsforscher Christoph Butterwege. Das Gegenteil ist der Fall: Der Verlust einer Arbeit ist ein einschneidendes Erlebnis, weil damit ein Verlust von Teilhabe und sozialer Integration einhergeht. Das ist für die allermeisten ausreichende Motivation, um schnellstmöglich einen neuen Job zu suchen.

Und es gibt ein weiteres schlagendes Argument gegen die These der „arbeitsscheuen“ Erwerbslosen: Trotz eines unterhalb oder nur wenig oberhalb des staatlich garantierten Existenzminimums liegenden Einkommens befinden sich fast eine Million Menschen im Hartz-IV-Bezug, die gar nicht arbeitslos sind, sondern deren Lohn oder Gehalt so gering ausfällt, dass sie den Sozialtransfer als sog. Erwerbsaufstocker*innen ergänzend in Anspruch nehmen müssen, um leben zu können. Um das zu ändern, müssen Löhne und Arbeitsbedingungen verbessert und nicht Sozialleistungen verringert werden.

Es ist deshalb brandgefährlich, wie die Boulevardpresse und private Fernsehsender das Thema „Sozialmissbrauch“ instrumentalisieren, um die Transferleistungsbezieher*innen in Verruf zu bringen. Das war schon bei dem am 1. Januar 2005 eingeführten, im Volksmund als „Hartz IV“ bezeichneten Grundsicherungssystem der Fall und wiederholt sich jetzt beim „Bürgergeld“. Schon am Tag, bevor das Bundeskabinett am 14. September 2022 den Referentenentwurf des Arbeits- und Sozialministeriums mit unwesentlichen Änderungen beschloss, erschien ein Bild-Artikel unter der Überschrift „Wer arbeitet, ist künftig der Dumme“. Wie bei Friedrich Merz mischt sich in der Berichterstattung immer wieder der Tritt nach unten mit dem rassistischen Narrativ der vermeintlichen „Einwanderung in die Sozialsysteme“. Eine Erzählung, die schon in den 1990er Jahren dazu diente, um  Flüchtlingsheime und Migrantenwohnungen in Brand zu stecken.

Autor: Otto König

Weitere Artikel

Back to top button
Close