„Wir geben die Hoffnung nicht auf!“

Sprockhövel. Der Verdacht drängte sich der gewerkschaftlichen Interessenvertretung, aber auch vielen Beschäftigten bei Avery Dennison, von Anfang an auf: Das in Kalifornien diktierte Schließungsprogramm für den Standort des Etiketten-Herstellers in Sprockhövel hat wenig „mit strategischen Zukunftsentscheidungen“ zu tun. Je tiefer die hinzugezogenen Berater der PCG aus Essen bohrten, umso klarer kristallisierten sich die wirklichen Gründe der Konzernpläne heraus: „Es ist ein einfach gestricktes Entlassungsprogramm verbunden mit dem Ziel die Standortkosten zu eliminieren“, so Burkhard Berg von PCG.
Gemeinsam mit Nicole Neumann-Cosel analysierte er die wirtschaftliche Lage des Unternehmens. Sie bereiteten die von der Geschäftsführung überlassenen Unterlagen auf, um daraus zusammen mit den Betriebsratsmitgliedern in einem Workshop im IG Metall-Haus in Gevelsberg die weitere Vorgehensweise zu beraten. Es wird immer deutlicher: Der Standort Sprockhövel wird sprichwörtlich durch die „Umlagen des Konzerns“ erwürgt. Und jetzt soll das von langer Hand vorbereitete Arbeitsplatzvernichtungskonzept endgültig vollzogen werden.
Berufserfahrung und Wissen der Beschäftigten, dass das Knowhow des Etiketten-Spezialisten ausmacht und die Tür bei Großkunden öffnete, der gute Ruf, die Qualität werden zu Gunsten kurzfristiger „Lohnvorteile“ in Niedriglohnändern wie der Türkei und Rumänien geopfert. „Es spricht ja nichts dagegen, Unternehmensprozesse zu optimieren, doch dass mit solchen unverantwortlichen Planungen Kunden vergrault werden, können wir nicht akzeptieren“, so der stellv. Betriebsratsvorsitzende Dirk Kolwe.
Das am grünen Tisch konzipierte Konzept ist auf „Kante genäht“, so die klare Erkenntnis der betrieblichen Interessenvertreter. Doch noch schlimmer sei, dass das örtliche Management in keiner Phase nur so etwas wie „Lokal-Spirit“ entwickelt habe, sondern nur vollstrecke, was die aus „Pasadena“ vorgeben würden. So erklärte der „Lautsprecher“ und Personalverantwortliche Helmut Bendig in der Verhandlung diese Woche vor dem Arbeitsgericht Hagen: „Avery Dennison ist ein Großkonzern, der sich weltweit und europaweit neu aufstellt.“ Außerhalb sei die Umstrukturierung bereits abgewickelt.“ (WAZ, 20.08.2015)
Um den Prozess der „Stilllegung“ an der Kleinbeckstrasse zu beschleunigen, sollten unter Inkaufnahme eines klaren Verstoßes gegen das Betriebsverfassungsgesetz „vorübergehend“ Großkunden wie Kaufhof, Otto oder Jack Wolfskin nicht mehr aus Westfalen, sondern aus dem britischen Nottingham betreut werden. Der Betriebsrat zog die Notbremse und beantragte eine einstweilige Verfügung mit dem Ziel, der Geschäftsführung untersagen zu lassen, diese Maßnahme nicht umzusetzen. Für Rechtsanwalt Lutz Ellinghaus, der das Betriebsratsgremium vertritt, eine eindeutige Sachlage: „Hier sollen den späteren Interessenausgleichverhandlungen vorgegriffen werden.“
Der „Schuss vor den Bug“ zeigte Wirkung: Prokurist Bendig zog noch in der Verhandlung die geplanten Maßnahmen zurück. Die Arbeitsrichterin Tanja Becker schrieb der Geschäftsführung klar und deutlich ins Stammbuch: Der Arbeitgeber Avery Dennison verpflichtet sich, keine Maßnahmen in Richtung einer Betriebsstilllegung zu unternehmen, solange keine abschließende Einigung mit dem Betriebsrat erzielt wurde.
Mit Hochdruck erarbeiten nun ausgehend von der Analyse in den kommenden Tagen die Betriebsratsmitglieder mit Unterstützung von Nicole Cosel-Neumann und Burkhard Berg Eckpunkte für alternative Lösungsansätze zur Abwehr des „betriebswirtschaftlich unsinnigen und sozialpolitisch unverantwortlichen Schließungskonzepts.“ „Wir setzen dabei auf die Unterstützung unserer Kolleginnen und Kollegen in den Abteilungen“, erklärt der Betriebsrat. „Hätte die Geschäftsführung einen Arsch in der Hose würden sie diesen Prozess mit allen Mitteln unterstützen“, fügt Gewerkschaftssekretär Sven Berg von der IG Metall hinzu.
Über das „Zwischenfazit der bisherigen Arbeit“ soll in den kommenden Tagen die Geschäftsführung in Gesprächen und die Beschäftigten in einer Betriebsversammlung informiert werden. In den Diskussionen im Workshop ist zu spüren, die Gewerkschafter wissen, der schwierigste Teil der Arbeit liegt noch vor ihnen. Sie haben ihr Engagement unter das Motto „Ohne Illusionen, aber mit Hoffnungen“ gestellt. Und die Hoffnung am Standort Sprockhövel Arbeitsplätze erhalten zu können, geben sie nicht auf.
Foto: Sie geben nicht auf: Die Betriebsratsmitglieder von Avery Dennison – Foto: IGM-GH